Gesetzesvorhaben

EU-Lieferkettengesetz: Neue Sorgfaltspflichten

Nach mehrmonatigen Verzögerungen legt die EU-Kommission am Mittwoch ihr europäisches Lieferkettengesetz vor. Die neuen Vorgaben für Konzerne gehen dabei laut vorab bekannt gewordenen Entwürfen über die aktuellen Regelungen in Deutschland hinaus.

EU-Lieferkettengesetz: Neue Sorgfaltspflichten

ahe Brüssel

Die EU-Kommission fordert von größeren europäischen Unternehmen stärkere Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz. In ihrem lang erwarteten Lieferkettengesetz, das Binnenmarktkommissar Thierry Breton am Mittwoch in Brüssel vorstellen will und dessen Entwurf der Börsen-Zeitung vorab vorliegt, be­zieht die Behörde die gesamten Wertschöpfungsketten von Konzernen mit ein, einschließlich den wesentlichen Zulieferern. Betroffen von den neuen Vorgaben sind demnach Unternehmen mit 500 Beschäftigten und mehr als 150 Mill. Euro Jahresumsatz. Drittstaaten-Betriebe, die in der EU auf dieses Umsatzvolumen kommen, sind ebenso betroffen. Bei Unternehmen, die mehr als die Hälfte ihres Umsatzes in sogenannten Hochrisikosektoren erwirtschaften – etwa in der Textil-, Metall- oder Bergbaubranche – gilt die wesentlich geringere Umsatzschwelle von 40 Mill. Euro – allerdings für etwas weichere Anforderungen.

Die EU-Kommission war sowohl von den Mitgliedsstaaten als auch vom EU-Parlament zur Vorlage eines solchen Lieferkettengesetzes aufgefordert worden. Beobachter in Brüssel verwiesen unter anderem darauf, dass das Brüsseler Lieferkettengesetz Umweltauswirkungen umfassender abdeckt als die deutschen Regelungen und es auch ermögliche, dass Unternehmen für Schäden auch haftbar gemacht werden können. Die neuen Sorgfaltspflichten enthalten auf Unternehmensseite auch Maßnahmen zur Prävention, eine laufende Überwachung sowie eine öffentliche Berichterstattung zur Umsetzung der Regeln.

Die Kommission verwies in ihrem Richtlinienvorschlag darauf, dass freiwillige Maßnahmen von Unternehmensseite nicht zu einer groß angelegten Verbesserung in allen Sektoren geführt habe und es zudem durch die zahlreichen nationalen Gesetzgebungen sehr unterschiedliche Regelungen in der EU gebe. „Eine Rechtsvorschrift auf EU-Ebene zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen wird die Achtung der Menschenrechte und den grünen Übergang fördern, gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen innerhalb der Union schaffen und eine Fragmentierung aufgrund von Eigeninitiativen der Mitgliedstaaten vermeiden“, hieß es in dem Entwurf. Zudem werde mit dem europäischen Ansatz auch Rechtssicherheit für Unternehmen geschaffen.

Die neue EU-Regulierung enthält keinen Mechanismus zum Importverbot von Produkten, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden. Ein solches Verbot hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im September angekündigt. Für einen solchen Schritt hat die Brüsseler Behörde nun aber eine eigenständige Regulierung erarbeitet.

Die Vorlage von Breton sieht vor, dass es Sache der Mitgliedsstaaten ist, sicherzustellen, dass die Unternehmen die neuen Sorgfaltspflichten auch erfüllen und in allen Unternehmensrichtlinien integrieren. An den Mitgliedsstaaten liegt es auch, eine oder mehrere nationale Aufsichts­behörden zu benennen, die mit angemessenen­ Befugnissen und Ressourcen ausgestattet werden. Die EU-Staa­ten müssen zudem Sanktionsvorschriften für Verstöße erlassen, die „wirksam, abschreckend und verhältnismäßig“ sind.

Die EU-Kommission selbst will zum Gelingen der neuen Richtlinie lediglich Leitlinien zu unverbindlichen Mustervertragsklauseln und Leitlinien für bestimmte Sektoren herausgeben und die Aufsichtsbehörden zu einem europäischen Netzwerk verknüpfen.

Erste Reaktionen aus dem EU-Parlament zu dem Entwurf fielen sehr unterschiedlich aus. Der CSU-Finanzexperte Markus Ferber bezeichnete die Bestimmungen zur zivilrechtlichen Haftung als „Damokles-Schwert für europäische Unternehmen“. Es gebe in der Europäischen Union kein grundsätzliches Problem mit Nachhaltigkeit und auch nicht mit schlechter Unternehmensführung, betonte Ferber. „Unternehmen derartige bürokratische Lasten aufzubürden, ist nur schwer zu rechtfertigen. Der Anwendungsbereich ist so weit, dass selbst weite Teile des Mittelstandes unter die neuen Vorschriften fallen. Vom Verhältnismäßigkeitsprinzip ist keine Spur mehr übrig.“

Die grüne Vorsitzende des Binnenmarktausschusses, Anna Cavazzini, fand hingegen viele lobende Worte: „Das Gesetz schiebt Menschenrechtsverletzungen bei der Produktion von Waren, die auf dem europäischen Binnenmarkt landen, einen Riegel vor“, erklärte sie. „Bisher konnten es sich viele Unternehmen zu leicht machen.“ Mit den neuen Vorgaben könnten sie nicht länger die Augen vor dem verschließen, was in ihren Lieferketten passiere – wenn beispielsweise in Indien Arbeiter beim Färben von Baumwolle durch chemische Substanzen verätzt würden oder in Fabriken in Bangladesch Arbeitsunfälle durch unzureichende Sicherheitsvorkehrungen passierten. Cavazzini kritisierte hingegen die pauschale Befreiung aller KMU von den Sorgfaltspflichten. Dies bedeute, dass 99% der EU-Unternehmen Business as usual betreiben könnten.

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