BREXIT-KRISE IN WESTMINSTER

EU reagiert gelassen auf neue Wendungen

Noch keine inhaltliche Analyse der britischen Ideen - Deutsche Wirtschaft drängt auf rasche Einigungen

EU reagiert gelassen auf neue Wendungen

ahe Brüssel – Die EU-Kommission hat betont gelassen auf den neuen Brexit-Kurs der britischen Regierung und die damit verbundenen Ministerrücktritte reagiert. Präsident Jean-Claude Juncker telefonierte bereits am Sonntag mit Premierministerin Theresa May. Inhaltlich wollte er sich aber noch nicht zu den neuen Vorstellungen Londons äußern. Ein Sprecher Junckers erläuterte gestern, man wolle erst das Weißbuch vorliegen haben und werde es dann genau analysieren. Wann es zu einem ersten Treffen von EU-Chefunterhändler Michel Barnier und seinem neuen Gegenpart Dominic Raab kommen wird, war gestern noch unklar. Barnier hält sich in dieser Woche zu Gesprächen in den USA auf. Der Kommissionssprecher betonte, die EU-Seite habe großes Interesse an einer Vereinbarung mit London und stehe rund um die Uhr für Gespräche zur Verfügung – auch während des gesamten Sommers. Brüssel sei aber nach wie vor hoffnungsvoll, dass ein Deal innerhalb des Zeitplans gelingen werde. Auch die Bundesregierung sieht durch den Rücktritt des britischen Brexit-Ministers David Davis keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Verhandlungen. “Wir haben keine Zweifel daran, dass die britische Regierungsseite verhandlungsfähig ist”, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin und begrüßte, dass London in den nächsten Tagen detaillierte Vorschläge vorlegen will. Eigentlich soll bis Oktober das Austrittsabkommen fertig sein. EU-Ratspräsident Donald Tusk brachte nach den Ministerrücktritten unterdessen erneut die Möglichkeit eines Verzichts auf den EU-Austritt ins Spiel. “Politiker kommen und gehen, die Probleme, die sie für die Menschen geschaffen haben, bleiben”, twitterte er. “Ich bedauere nur, dass die Idee des Brexit nicht mit Davis und Johnson verschwunden ist. Aber . . . wer weiß?” Tusk hat in der Vergangenheit wiederholt erklärt, er würde einen Meinungswechsel der Briten begrüßen.Die deutsche Wirtschaft forderte erneut mehr Tempo bei den Gesprächen. “Es darf jetzt keine Verzögerungen im Verhandlungsprozess geben,” erklärte Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Dass die britische Regierung ein Stück weit von ihrer harten Brexit-Position abweicht, ist für ihn auch den eindeutigen Positionierungen der Unternehmen geschuldet. “Für die Wirtschaft ist wichtig, dass sich die EU und Großbritannien so schnell wie möglich auf eine Übergangsphase einigen”, unterstrich Lang. Der Maschinenbauverband VDMA warnte, die sich andeutende Regierungskrise in Großbritannien sei “Gift für den Brexit-Prozess”. Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann sagte der Nachrichtenagentur Reuters, ohne eine handlungsfähige Regierung in London könne der Zeitplan unmöglich eingehalten werden. Man müsse sich dann auf einen harten Brexit einstellen.Sein Amtskollege vom Bundesverband deutscher Banken (BdB), Andreas Krautscheid, verwies auf Fortschritte durch die neue britische Brexit-Strategie. Vom Grundsatz her könne dieses Modell einige Probleme lösen, etwa die Nordirland-Frage oder den Erhalt industrieller Wertschöpfungsketten. Aber die Zeit dränge. “Es geht mittlerweile nicht mehr darum, das Beste zu erreichen, sondern das Schlimmste zu verhindern.” Nach Einschätzung von Krautscheid ist nun auch klar, dass es weitere Verlagerungen von Finanzdienstleistungen von London in die EU-27 geben wird. Der geplante Freihandelsvertrag solle daher ergänzende Regelungen enthalten.