EU streitet über Umgang mit Türkei

Österreich für Abbruch der Beitrittsverhandlungen - Erdogan lässt einzelne Geschäftsleute inhaftieren

EU streitet über Umgang mit Türkei

Die Spannungen zwischen der EU und der Türkei eskalieren. Zwar weist die EU-Kommission Forderungen nach einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen zurück. Allerdings dürfte die Ausweitung der Strafaktionen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die sich nun auch gegen Geschäftsleute richten, eine Fortsetzung der Gespräche ohnehin erschweren.fed Frankfurt – In Reaktion auf Rufe nach Beendigung der Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union hat die EU-Kommission vor übereilten Beschlüssen gewarnt. “Ich sehe nicht, dass es jetzt von Hilfe wäre, wenn wir einseitig der Türkei bedeuten würden, dass die Verhandlungen zu Ende sind”, sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Ohnehin habe die EU-Kommission gar nicht das Recht, die Gespräche abzubrechen, erinnerte eine EU-Sprecherin. Für einen solchen Schritt sei vielmehr ein Votum der nationalen Regierungen Voraussetzung. Zudem wies die Sprecherin darauf hin, dass es aktuell “keine Pläne gibt, ein weiteres Beitrittskapitel zu eröffnen”. Mit diesem Fingerzeig will die EU-Kommission darauf aufmerksam machen, dass die Verhandlungen sowieso stocken – also selbst die Kritiker der türkischen Regierung in der EU nicht fürchten müssen, dass ein Beitritt des Landes zügig näherrückt.Wie für EU-Kandidaten üblich muss auch die Türkei beweisen, dass sie europäisches Gemeinschaftsrecht in nationale Gesetze übersetzt hat – und sich auch in der Verfassungspraxis an Prinzipien und Werte der EU hält. Konkret geschieht dies durch die Prüfung von 33 Rechtsgebieten (“Beitrittskapitel”). Sie müssen geöffnet und wieder geschlossen werden, bevor ein Land EU-Mitglied werden kann. Bislang sind im Falle der Türkei nicht einmal die Hälfte aller Kapitel geöffnet und lediglich ein einziges (Wissenschaft und Forschung) wieder geschlossen worden. “Diplomatische Fiktion”Österreichs Bundeskanzler Christian Kern hatte die Verhandlungen in einer Rundfunksendung als “diplomatische Fiktion” verspottet, einen Beitritt der Türkei “auf Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte” als unrealistisch bezeichnet und einen Abbruch der Gespräche gefordert: “Wir werden ein alternatives Konzept verlangen.” Österreichs Regierung steht traditionell einem EU-Beitritt der Türkei reserviert gegenüber – auch wegen der Stärke rechtspopulistischer Parteien im Land. Gestern erhielt Kern Unterstützung von Bayerns Innenminister Herrmann: “Eine türkische EU-Mitgliedschaft kann überhaupt keine Option sein”, wird der Minister zitiert. Das Lager der Gegner weiterer Beitrittsgespräche mit Ankara könnte in den nächsten Tagen noch wachsen – zumal, wenn Erdogan seinen harten innenpolitischen Kurs weiter verschärft. Gestern weitete er die Strafaktionen gegen Personen aus, die im Verdacht stehen, der Bewegung von Erdogans Erzfeind Fethullah Gülen nahezustehen. Der türkische Präsident kündigte an, dass er Firmen alle Geschäftskontakte zu Unternehmen untersagen wird, die die Regierung in Ankara der Gülen-Bewegung zurechnet. Erdogan sprach in diesem Zusammenhang von “Nestern des Terrorismus”. Vermögen sollen eingezogen werden. Gestern meldeten Nachrichtenagenturen bereits die Inhaftierung einzelner Geschäftsleute.Immer offensiver mischt sich der Präsident in das Management von Banken und Notenbanken ein. Er forderte die türkische Zentralbank auf, die Reserven an ausländischen Devisen auf 165 Mrd. Dollar aufzustocken. Die Geschäftsbanken wurden angehalten, Zinsen für Immobilienkredite auf maximal 9 % zu senken.—– Leitartikel Seite 8