EZB-POLITIK UNTER BESCHUSS - IM INTERVIEW: VOLKER WIELAND

"EuGH wird wohl wieder übers Ziel hinausschießen"

Der Wirtschaftsweise begrüßt die Prüfung der EZB-Anleihekäufe - "Ausstieg längst gerechtfertigt"

"EuGH wird wohl wieder übers Ziel hinausschießen"

Volker Wieland gehört zu den führenden Notenbankexperten in Deutschland und ist seit März 2013 Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft der Bundesregierung, also einer der fünf deutschen “Wirtschaftsweisen”. Er hat sich intensiv mit den juristischen Fragestellungen rund um die EZB-Politik befasst.- Herr Wieland, das Bundesverfassungsgericht sieht “gewichtige Gründe” für die Annahme, dass die Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) im Zuge des Quantitative Easing (QE) gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung im EU-Vertrag verstoßen und über das Mandat der EZB hinausgehen. Teilen Sie diese Einschätzung?Das EZB-Ankaufprogramm für öffentliche Wertpapiere ist klar geldpolitisch ausgerichtet. Das Bundesverfassungsgericht erkennt auch an, dass das Programm eine erklärte währungspolitische Zielsetzung hat und sich geldpolitischer Mittel bedient. Schließlich ist der An- und Verkauf von Staatsanleihen eine völlig übliche geldpolitische Maßnahme. Aber das Gericht wirft einige Fragen auf, die in der Tat geprüft werden sollten. Dabei geht es etwa um Konditionen, mit denen Risiken eingeschränkt und eine direkte monetäre Staatsfinanzierung vermieden werden sollen. In dieser Hinsicht entspricht es der bisherigen Rechtsprechung, eine gerichtliche Überprüfung vorzunehmen.- Das Bundesverfassungsgericht hat das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. In einem früheren Verfahren – zum Staatsanleihekaufprogramm OMT (Outright Monetary Transactions) – hatte der EuGH der EZB quasi einen Freibrief ausgestellt. Glauben Sie ernsthaft, dass es dieses Mal anders kommen könnte?Der EuGH hat in seinem OMT-Urteil vom Juni 2015 bekräftigt, dass Rechtsakte des Eurosystems der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Außerdem hat er darauf hingewiesen, dass Aufkäufe von Staatsanleihen auf Sekundärmärkten unter Umständen mit den verbotenen Ankäufen auf Primärmärkten vergleichbar sind – und zwar dann, wenn die Investoren, die auf dem Primärmarkt kaufen, fest damit rechnen können, faktisch als Mittelspersonen für die EZB zu agieren. Allerdings hat der EuGH dann die Begründung des OMT viel zu weit gefasst, indem er dem Eurosystem eine allgemeine Zuständigkeit für die “Entstörung” eines gestörten Transmissionsmechanismus der Geldpolitik zugesprochen hat. Damit könnte der EZB-Rat weitreichende Eingriffe in Bereiche der Wirtschafts- und Finanzpolitik rechtfertigen. Es ist zu befürchten, dass der EuGH auch dieses Mal wieder über das Ziel hinausschießt.- Im OMT-Verfahren hatte sich das Bundesverfassungsgericht am Ende dem EuGH gefügt. Wird das im Zweifelsfall erneut passieren, oder glauben Sie, dass es Karlsruhe dieses Mal auf einen Konflikt mit Luxemburg ankommen ließe?Es ist sinnvoll, dass das Bundesverfassungsgericht den EuGH fragt, ob die vom EuGH für Ankäufe von Staatsanleihen im Rahmen des OMT-Programms gesetzten Grenzen nicht ebenso für das jetzige Ankaufprogramm für öffentliche Wertpapiere gelten. Außerdem hat sich das Gericht bereits in seinem OMT-Urteil im Juni 2016 kritisch mit dem EuGH-Urteil auseinandergesetzt. Konkret hat es der Bundesbank vorgeschrieben, sich nur dann an Anleihekäufen im Rahmen des OMT-Programms zu beteiligen, wenn diese nicht angekündigt werden, zwischen Emission der Schuldtitel und Ankauf eine Mindestfrist liegt und nur dann Anleihen erworben werden, wenn der Mitgliedstaat noch Zugang zum Anleihemarkt hat. Außerdem sollen die Anleihen nur in Ausnahmen bis Endfälligkeit gehalten werden und in der Regel wieder verkauft werden, wenn die Intervention nicht mehr erforderlich ist. Das aktuelle Programm ist nun klar geldpolitisch ausgerichtet. Deshalb können die Grenzen durchaus weiter gefasst sein als für das OMT-Programm. Aber das Volumen der Aufkäufe ist extrem groß. Die von der EZB selbst gesetzten Grenzen bezüglich des gekauften Emissionsanteils und des Mindestzinses sind wohl kaum einzuhalten, wenn sie nächstes Jahr weiter kaufen will. Und bei einem theoretisch möglichen Austritt eines Mitgliedstaates aus der EU könnten substanzielle Verluste auftreten.- Welche Folgen hätte ein “Machtkampf” zwischen Bundesverfassungsgericht und EuGH für Europa und die Eurozone?Europa und die Eurozone können die Klärung dieser rechtlichen sowie geld- und wirtschaftspolitischen Fragen meines Erachtens ohne Probleme aushalten.- Welche Implikationen hätte es für das QE-Programm, wenn der Bundesbank die Teilnahme an den Käufen untersagt würde?Grundsätzlich spielt es keine Rolle, welche Notenbank innerhalb des Eurosystems die Aufkäufe durchführt, mit denen die EZB-Bilanz ausgeweitet wird. Allerdings dürfte ein Gerichtsurteil, das stärkere Grenzen als bisher setzt, denjenigen im EZB-Rat den Rücken stärken, die auf eine Beendigung des Programms drängen. Jedenfalls hätte die wirtschaftliche Erholung im Euroraum meines Erachtens schon längst ein Auslaufen der Aufkäufe gerechtfertigt. Deshalb befürchte ich keine wirtschaftlichen Konsequenzen aus einer erneuen Debatte über die Grenzen, denen die Notenbanken bei solchen Aufkäufen unterworfen sein sollten.- Was bedeutet die jetzige Wendung für die aktuelle Diskussion im EZB-Rat über die Zukunft von QE im Jahr 2018 und für die Debatte über Änderungen an selbst gesetzten Vorgaben wie der Kaufobergrenze von 33 % je Anleihe und Emittent oder der Aufteilung nach dem EZB-Kapitalschlüssel?Ich gehe davon aus, dass es keine direkte Wirkung auf den EZB-Rat hat. Indirekt könnte es den Bedenken, ob die fortgesetzte massive Lockerung wirklich noch angemessen ist, etwas mehr Nachdruck verleihen.- Die EZB-Politik landet in Deutschland immer wieder vor Gericht. Die Euro-Hüter verweisen dagegen immer wieder darauf, sie täten nichts anderes als andere Zentralbanken auch. Ist die EZB wegen der besonderen Konstruktion der Währungsunion keine Zentralbank wie jede andere?Natürlich ist die EZB ein Sonderfall. Sie ist die einzige Notenbank, die für eine Währungsunion ansonsten weitgehend souveräner Mitgliedstaaten zuständig ist. Es gibt keine Bundesregierung wie in den USA oder in Deutschland. Die EZB kauft Anleihen von Mitgliedstaaten, während etwa die US-Fed nur Bundesanleihen gekauft hat und Anleihen von Institutionen, die vom Bund garantiert wurden. Die Mitgliedstaaten im Euroraum haben keine unbegrenzte Risikoteilung vereinbart. Zudem besteht theoretisch die Möglichkeit, dass ein Mitgliedstaat aus dem Euro austritt – zumindest im Falle eines Austritts aus der EU, wie ihn Großbritannien gerade anstrebt. Es war klug, dass der EZB-Rat in der Vergangenheit entschieden hat, die Anleihen der Mitgliedstaaten und damit verbundene Risiken weitgehend bei den nationalen Notenbanken zu belassen. Ebenso war es klug, Anleihen Griechenlands, das noch Unterstützung aus einem ESM-Programm erhält, nicht in das geldpolitische Aufkaufprogramm einzubeziehen.—-Die Fragen stellte Mark Schrörs.