Euro-Industrie schürt Konjunkturhoffnungen
ba/ms Frankfurt – Im Euroraum entspannt sich die Corona-Lage, die Schutzmaßnahmen werden gelockert, die Wirtschaft beginnt sich zu berappeln und so wird sich die Europäische Zentralbank (EZB) auf der anstehenden Ratssitzung in Zurückhaltung üben. Zwar schürten jüngst veröffentlichte Stimmungsindikatoren und einige harte Konjunkturdaten die Hoffnung, dass in der Tat im April die Talsohle durchschritten wurde. Doch noch herrscht große Unsicherheit, wie schnell die Erholung im gemeinsamen Währungsraum voranschreiten wird und wie lange es dauert, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht wird. Zugleich scheint die Dynamik schon wieder nachzulassen und es gibt Sorge vor einer zweiten Infektionswelle. Weitere Hinweise werden Indikatoren liefern, die in den kommenden Tagen veröffentlicht werden.Ökonomen erwarten, dass sich die vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) befragten Analysten und institutionellen Anleger erneut optimistischer zur aktuellen Lage im Euroraum äußern. Für Juni verzeichnete das ZEW die erste Verbesserung der Lagekomponente in diesem Jahr. Da die Konjunkturerwartungen mittlerweile schon recht optimistisch ausfallen, dürfte der Anstieg im Juli – dann der vierte in Folge – etwas weniger prononciert ausfallen. Die neuesten Umfragen veröffentlicht das ZEW am Dienstag.Deutlich höher liegen die Erwartungen für die Produktion der Indus-trieunternehmen im Euroraum, die gleichfalls am Dienstag bekannt gegeben werden. Nach den Einbrüchen im Monatsvergleich um 11,9 % im März und 17,1 % im April gehen Ökonomen für Mai von einem Fertigungsplus von 8,1 % aus (siehe Grafik). Dafür spricht auch die Entwicklung in den vier größten Euro-Volkswirtschaften. Am Freitag hatte das französische Statistikamt Insee für Mai einen Produktionsanstieg von 19,6 % zum Vormonat gemeldet. Ökonomen waren von einem Plus von 15,4 % ausgegangen – im April war der Output noch um 20,4 % gedrosselt worden. Im Vergleich zum Februar, in Frankreich ebenso wie hierzulande der letzte Monat vor den Lockdowns, meldet Insee ein Minus von 21,2 %. Italiens Industrie zeigt eine ähnliche Entwicklung: das Statistikamt Istat meldete ebenfalls am Freitag einen Anstieg der Gesamtproduktion um 42,1 % im Vergleich zu April. Experten hatten hier im Schnitt mit + 24 % gerechnet. Das Produktionsniveau liegt allerdings immer noch um 20,3 % unter dem von Mai 2019. In Spanien, das ebenso wie Italien zu den am stärksten von der Coronakrise betroffenen Ländern Europas gehört, legte die Industrieproduktion im Mai laut Statistikamt INE zwar ebenfalls zu, das Plus von 14,7 % lag jedoch unter den Erwartungen von 16,9 %. Allerdings verzeichnete INE mit revidiert – 22,1 (zuvor: – 21,8) % im April den stärksten je gemessenen Rückgang. Gegenüber Mai 2019 ist der Output um 24,5 % gefallen. Auch die deutsche Industrie verfehlte mit dem von Destatis gemeldeten Produktionszuwachs von 7,8 % die Erwartungen, die bei 11,1 % gelegen hatten. Der Jahresvergleich offenbart ein Minus von 19,3 %.Die Daten zur Euro-Industrieproduktion sind zusammen mit der vierteljährlichen Kreditumfrage der EZB, die ebenfalls am Dienstag veröffentlicht wird, noch einmal eine wesentliche Wegmarke vor der geldpolitischen Sitzung des EZB-Rats am Donnerstag. Die Euro-Hüter beraten dann zum letzten Mal vor der Sommerpause über den geldpolitischen Kurs. Die nächste Zinssitzung findet dann am 10. September statt.Die EZB-Granden um EZB-Präsidentin Christine Lagarde haben vor der Sitzung bereits klargemacht, dass vorerst nicht mit einer Änderung des Kurses zu rechnen sei. Stattdessen gehe es jetzt darum, die Wirtschaftsdaten sorgfältig zu analysieren. Der EZB-Rat hat im Kampf gegen die Krise seit März zu beispiellosen Maßnahmen gegriffen und insbesondere das inzwischen 1,35 Bill. Euro umfassende Corona-Notfallankaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) aufgelegt. Die Mehrheit der Beobachter erwartet aktuell, dass die EZB dennoch noch einmal nachlegen muss. In einer am Freitag veröffentlichten Bloomberg-Umfrage gab mehr als die Hälfe der befragten Ökonomen an, dass sie einen Nachschlag bis Dezember erwarten. Die meisten setzen dabei auf eine Aufstockung um weitere 500 Mrd. Euro. Dagegen haben Euro-Notenbanker zuletzt erklärt, dass der aktuelle PEPP-Rahmen gar nicht ganz ausgeschöpft werden müsse, wenn es auch mit weniger gehe.