STREIT ÜBER EZB-POLITIK

Euro-Notenbanker ringen um richtigen Kurs

Divergierende Ansichten zum Handlungsbedarf im nächsten Jahr - QE-Programm stößt zunehmend an Grenzen - Klarer Exitplan versus größtmögliche Flexibilität

Euro-Notenbanker ringen um richtigen Kurs

Der EZB-Rat tagt morgen erstmals nach der Sommerpause. Auf der Tagesordnung steht die Zukunft der ultralockeren Geldpolitik im Jahr 2018 und vor allem der Anleihekäufe. Die Meinungen im Rat gehen weit auseinander – genau wie unter Ökonomen.Von Mark Schrörs, FrankfurtWenn die Euro-Notenbanker nun mit der detaillierten Debatte über die Zukunft der Geldpolitik im Euroraum im Jahr 2018 und speziell der breiten Anleihekäufe (Quantitative Easing, QE) beginnen, stehen zwei Fragen zur Entscheidung an: Ist die Zeit reif für einen Ausstieg aus der beispiellos lockeren Geldpolitik – oder genauer: für einen Einstieg in den Ausstieg? Und wenn ja, wie soll dieser Exit vonstattengehen?Was die erste Frage betrifft, hat Bundesbankpräsident Jens Weidmann unlängst im Interview der Börsen-Zeitung klar Position bezogen: Eigentlich bestehe für die Europäische Zentralbank (EZB) 2018 überhaupt kein Handlungsbedarf mehr, sagte Weidmann (vgl. BZ vom 24. August). Die Wirtschaft stehe überraschend gut da und die Inflation von zuletzt 1,5 % sei auf dem Weg in Richtung des mittelfristigen EZB-Ziels von unter, aber nahe 2 %. Weil aber auch er kein abruptes Ende will, hatte er zumindest dafür plädiert, die Käufe “zügig” zu beenden. Zugleich betonte er, dass die EZB-Politik selbst bei einem Ende der Nettokäufe expansiv bleibe. Auch andere Hardliner (“Falken”) wie EZB-Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger oder der niederländische Zentralbankchef Klaas Knot hatten in der Vergangenheit für einen möglichst baldigen Ausstieg aus QE plädiert.Dagegen warnen die “Tauben” im EZB-Rat, zu denen auch EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio gezählt wird, keinesfalls zu früh auszusteigen. Sie sind noch nicht überzeugt, dass die Inflation auf einem nachhaltigen Pfad in Richtung 2 % ist. Insbesondere sorgt sie das schwache Lohnwachstum. Constâncio wie auch EZB-Chefvolkswirt Peter Praet haben gar dafür plädiert, lieber zu lange an der ultralockeren Geldpolitik festzuhalten, als zu früh auszusteigen.Klar ist nun, dass QE, das aktuell bis Ende 2017 beschlossen ist, 2018 weitergeht – weil niemand im EZB-Rat ein abruptes Ende will. Zugleich scheint aber auch klar, dass es nicht bei dem aktuellen monatlichen Kaufvolumen von 60 Mrd. Euro bleibt. Das liegt sicher auch daran, dass QE zunehmend an selbst gesetzte Grenzen wie die 33 %-Kaufobergrenze je Anleihe und Emittent stößt – und ein Rütteln an diesen Regeln als heikel gilt (vgl. BZ vom 5. September). Dafür spricht aber etwa auch, dass der Aufschwung zunehmend selbsttragend ist. EZB-Präsident Mario Draghi selbst hatte Ende Juni bei seiner viel beachteten Rede in Sintra erklärt, dass bei sich fortsetzender Konjunkturerholung die geldpolitische Ausrichtung immer expansiver werde, wenn die Parameter der Geldpolitik nicht angepasst würden.Die große Frage ist aber, in welchem Umfang das Eurosystem aus EZB und nationalen Zentralbanken 2018 weiterkauft und für wie lange – was auch zu der zweiten zentralen Frage führt: Wie kann ein Ausstieg aus den Anleihekäufen aussehen?Grundsätzlich hat die EZB zwei Optionen: Sie kann im Voraus einen Plan festlegen, wie sie in welchem Zeitraum die Käufe auf null zurückfahren möchte, oder sie reduziert die Käufe erst einmal und schaut nach einigen Monaten weiter. Bundesbankchef Weidmann hat Sympathie für einen klaren Exitplan, der aber angepasst werden könnte bei unvorhersehbaren Ereignissen. Ein solcher habe “Vorteile bei der Kommunikation mit den Märkten und der Öffentlichkeit”. Die Befürworter eines Schritt-für-Schritt-Ausstiegs argumentieren dagegen mit einer größeren Flexibilität – zumal wenn Unsicherheit herrscht, dass der EZB-Job tatsächlich erledigt ist. Im von “Tauben” dominierten EZB-Rat dürfte das die Mehrheitsmeinung sein.Die meisten Beobachter erwarten aktuell eine Reduzierung der QE-Käufe auf 40 Mrd. Euro ab Januar 2018 – analog zu der Reduzierung von 80 Mrd. Euro auf 60 Mrd. Euro zum April 2017. Das hatte der EZB-Rat damals als singulären Schritt infolge gesunkener Deflationsrisiken verkauft. Aber auch bei 40 Mrd. Euro stellt sich die Frage, wie lange das Eurosystem das durchhalten kann, ohne dass die kauffähigen Papiere ausgehen. Selbst in Notenbankkreisen gibt es Zweifel daran, dass das für sechs Monate gelingen kann – zumindest solange die QE-Beschränkungen nicht gelockert werden. Der EZB-Rat könnte 40 Mrd. Euro auch nur für drei Monate ansetzen und beschließen, im Frühjahr weiterzuschauen. Einige Experten spekulieren auch darauf, dass – anders als bislang – gar kein Enddatum mehr genannt wird. Eine andere Lösung könnte für den EZB-Rat sein, die Käufe stärker zu drosseln, auf 30 Mrd. Euro oder noch etwas weniger – dafür im Gegenzug QE aber für einen längeren Zeitraum zu verlängern als für drei oder sechs Monate. Das würde auch passen zu Draghis Versprechen, der Ende 2016 eine “dauerhaftere Marktpräsenz” der EZB avisiert hatte.Schließlich muss der EZB-Rat auch entscheiden, was mit der Aussage wird, dass die Leitzinsen “weit über den Zeithorizont unseres Nettoerwerbs von Vermögenswerten hinaus” keinesfalls angehoben werden. Für diese Reihenfolge per se gibt es laut EZB-Chefvolkswirt Praet eine “starke Logik”. Die Notenbanker werden künftig aber erklären müssen, ob es bei der Formulierung bleibt – und was “weit” konkret bedeutet.