Euro-Notenbanker steuern auf kontroverse Sitzung zu
Euro-Notenbanker steuern auf kontroverse Sitzung zu
Centeno warnt vor Überreaktion – Nagel: Inflation weiter viel zu hoch – Sympathie für Erhöhung des Mindestreservesatzes
ms Frankfurt
Weniger als zwei Wochen vor der wegweisenden EZB-Zinssitzung am 14. September haben sich gleich mehrere führende Euro-Notenbanker zu Inflation und Wachstum geäußert. Konkrete Signale zum weiteren Zinskurs scheuten sie aber weitgehend. Das zeigt, wie unsicher die Lage nach wie vor ist und wie knapp die Entscheidung ausfallen könnte. Die große Frage ist, ob die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen weiter erhöht oder sie zumindest vorerst eine Zinserhöhungspause einlegt. An den Finanzmärkten wird derweil immer stärker auf eine Zinspause spekuliert.
Die Unsicherheit über den Ausgang der Sitzung ist so groß wie seit Jahren nicht. Hintergrund ist das Dilemma der EZB: Einerseits liegt die Inflation trotz eines deutlichen Rückgangs mit zuletzt 5,3% noch deutlich oberhalb des mittelfristigen EZB-Zielwerts von 2,0% – was für weitere Zinserhöhungen spricht. Andererseits schwächelt die Konjunktur, und vereinzelt gibt es Rezessionsängste – was zur Vorsicht bei einer weiteren Straffung mahnt. Seit Juli 2022 hat die EZB ihre Leitzinsen um insgesamt 425 Basispunkte erhöht – so aggressiv wie nie seit der Euro-Einführung 1999.
Am deutlichsten wurde am Montag Portugals Notenbankchef Mario Centeno. Er warnte davor, bei den Zinsen zu weit zu gehen. „In der monetären Dimension beginnt das Risiko, ,zu viel zu tun‘, materiell zu werden“, argumentierte der Notenbanker in einer Analyse, die auf der Website der portugiesischen Zentralbank veröffentlicht wurde. „Die Inflation ist schneller zurückgegangen, als sie gestiegen ist, und die Wirtschaft passt sich an die neuen finanziellen Bedingungen an.“ Centeno gilt als Verfechter einer eher lockeren Geldpolitik („Taube“) und hat zuletzt wiederholt zur Vorsicht gemahnt.
Dagegen hatte Belgiens Zentralbankchef Pierre Wunsch am Samstag gesagt: „Wir müssen vielleicht ein bisschen mehr tun.“ Zuvor hatte vor allem Österreichs Zentralbankchef Robert Holzmann mit einer weiteren Zinserhöhung im September geliebäugelt. Auch Bundesbankpräsident Joachim Nagel hatte vor einer zu frühen Zinspause gewarnt, ohne sich aber festzulegen. Am Montag sagte er bei einer Diskussionsveranstaltung der Bundesbank in Frankfurt, dass die Inflation „weiter viel zu hoch ist“. Ansonsten hielt er sich mit Aussagen zum Zinskurs bedeckt.
Märkte erwarten keine Zinserhöhung
Am Freitag war bekannt geworden, dass die Teuerung im August zwar unerwartet bei 5,3% stagniert hat, aber die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel von 5,5% auf 5,3% weiter gesunken ist. Nicht zuletzt deshalb haben Marktteilnehmer ihre Zinserwartungen deutlich zurückgeschraubt. Laut Bloomberg preisen sie aktuell eine weitere Zinserhöhung im September nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 25% ein. Vor den Inflationsdaten habe der Wert bei 60% gelegen.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde betonte am Montag, wie wichtig es sei, dass die Inflationserwartungen verankert bleiben, und hob dabei auch die Bedeutung der Kommunikation hervor. Zugleich sagte sie unter anderem aber auch: „Taten sprechen lauter als Worte.“ Den weiteren Zinskurs hielt sie bei ihrem Auftritt aber komplett in der Schwebe.
Nagel stellte derweil in Aussicht, dass sich die Banken auf mehr Maßnahmen der EZB einzustellen haben, was die enorme Überschussliquidität und die daraus resultierenden Profite der Geschäftsbanken für die Einlagen bei der EZB betrifft. Im Juli hatte die EZB bereits überraschend angekündigt, dass sie die zu haltenden Mindestreserven künftig nicht mehr verzinst. Nagel sagte nun, dass der Finanzsektor nicht denken sollte, dass dies das Ende der Geschichte sei. Er ließ Sympathie für eine Erhöhung der Mindestreserveanforderung von aktuell 1% erkennen.
Risikolose Gewinne für Banken
Hintergrund der Debatte ist, dass die Banken infolge der raschen Zinswende quasi risikolose Gewinne auf ihre Überschussliquidität erhalten. Das gilt als politisch heikel. Der Ökonom Paul De Grauwe kritisierte diese enormen „Transfers“ an die Banken bei der Bundesbank-Veranstaltung scharf. Sie hätten keine ökonomische Begründung, kreierten starke Verzerrungen und seien „extrem unfair“.