Euro-Stimmung auf Allzeithoch
ba Frankfurt
Im Juli stabilisierte sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt, die Auftragsbücher sind prall gefüllt, die Kapazitätsauslastung nahm weiter zu: Die Wirtschaftsstimmung im Euroraum war im Juli so gut wie noch nie. Allerdings ist auch der Preisdruck anhaltend hoch. Ökonomen erwarten, dass die Jahresinflationsrate im Euroraum im Juli auf 2,0% und damit genau auf das Preisziel der Europäischen Zentralbank (EZB) geklettert ist. Das Statistikamt Eurostat berichtet am Freitag über die Preisdaten. Aktuell läuft die Diskussion hoch, ob die zu beobachtenden Preissteigerungen nun ein temporäres Phänomen sind oder nicht.
Der von der EU-Kommission erhobene Economic Sentiment Indicator (ESI) kletterte um 1,1 auf 119,0 Punkte. Ökonomen hatten zwar das sechste Plus in Folge erwartet, aber mit einem Wert von 118,2 Punkten gerechnet – dem bisherigen Rekordhoch, das aus dem Mai 2000 stammt. Allerdings stieg der breit angelegte Indikator, der seit 1985 die Stimmung der Unternehmen und privaten Haushalte abbildet, nicht mehr so kräftig wie in den vergangenen Monaten. Der EU-Kommission zufolge deutet dies an, dass sich das Stimmungsbarometer seinem Höchststand nähert.
Die Stimmung in den 19 Ländern des gemeinsamen Währungsraums entwickelte sind in den betrachteten Bereichen dabei uneinheitlich: In der Industrie, die mit Lieferengpässen kämpft, kletterte das Barometer 1,8 Punkte auf ein neues Allzeithoch bei 14,6 Zählern. Bei den Dienstleistern, die am stärksten unter den Restriktionen gelitten haben, macht sich die rasante Ausbreitung der Delta-Variante noch nicht bemerkbar, das Stimmungsbarometer legte 1,4 Punkte zu. Die Indikatoren für die Bauwirtschaft (–0,8 Punkte) und den Einzelhandel (–0,1 Punkte) haben hingegen von den Gewinnen des Vormonats wieder etwas abgegeben. Und auch bei den Verbrauchern hat sich die Stimmung eingetrübt (–1,1 Punkte). Der Juni-Wert gehörte allerdings zu den höchsten jemals gemessenen, wie ING-Chefökonom Carsten Brzeski betont. Er sieht daher „die Inlandsnachfrage weiterhin auf einen starken Aufschwung eingestellt“, was die Erholung des Bruttoinlandprodukts (BIP) in den Sommermonaten vorantreiben werde. Im zweiten Quartal dürfte das BIP um 1,6% im Quartalsvergleich zugelegt haben nach dem Minus von 0,3% zu Jahresbeginn. Eurostat berichtet am Freitag auch über die konjunkturelle Entwicklung der drei Monate bis Juni und legt zudem die Arbeitsmarktzahlen für Juni vor. Ökonomen erwarten im Schnitt eine Stagnation der Arbeitslosenquote bei 7,9%. Für eine Stabilisierung am Arbeitsmarkt spricht auch, dass der Indikator der Beschäftigungserwartungen (EEI) im Juli unverändert bei revidiert 111,7 Punkten und „damit deutlich über dem Niveau vor der Pandemie“ blieb, wie die EU-Kommission mitteilte. Der für Juni zunächst gemeldete Stand von 111,6 Zählern war der höchste seit November 2018.
Die Teilfrage zu den Verkaufspreiserwartungen zeugt von dem anhaltenden Preisdruck und dürfte die aktuelle Debatte über ein Zurückfahren der ultralockeren Geldpolitik der EZB weiter befeuern. In der Industrie liegt der entsprechende Indikator nur geringfügig unter dem im vergangenen Monat erreichten Allzeithoch, bei den Dienstleistern kletterte der Indikator auf das Allzeithoch und das entsprechende Barometer für die Baubranche erklomm den Höchststand seit Januar 1991 während bei den Dienstleistern der höchste Wert seit Juli 2008 gemessen wurde. Und auch die Preiserwartungen der Verbraucher legten zu – den fünften Monat in Folge auf ein Niveau, das laut EU-Kommission zuletzt im September 2012 überschritten wurde.
Ebenfalls uneinheitlich entwickelte sich die Stimmung in den größten Euro-Volkswirtschaften: Der ESI legte in Frankreich (+4,0), Italien und Spanien (je +1,7) deutlich zu. In Deutschland (+0,3) und den Niederlanden (–0,3) blieb die Stimmung hingegen praktisch unverändert.