Europa auf "Zombifizierungskurs"

Ökonomen zweifeln beim Finanzmarkt-Roundtable an der Zukunftsfähigkeit der Währungsunion

Europa auf "Zombifizierungskurs"

Die Zukunft der Eurozone ist düster. Bei der nächsten Krise droht womöglich ihr Auseinanderbrechen. Ökonomen verzweifeln angesichts zunehmender Systemrisiken an der Uneinsichtigkeit und Engstirnigkeit der Politik.Von Stephan Lorz, FrankfurtDer Chefvolkswirt der DekaBank, Ulrich Kater, warnte vor einem “Ermüdungsbruch”. Der nächste Stolperstein könne das Referendum in Italien Anfang Dezember darstellen oder der Wahlsieg europakritischer Kräfte in Frankreich. Irgendwann würden die Märkte der Währungsunion ihr Misstrauen aussprechen; und dann gebe es keine Abwehrkräfte mehr, weil sowohl die Notenbank als auch die Fiskalpolitik “ihr Pulver längst verschossen” hätten.Die Zukunft ist also unsicher geworden, was auch die Investitionsbereitschaft lähmt: Die Zahl der Börsengänge hat ebenso nachgelassen wie die Unternehmensgründungen, gleichzeitig scheinen die Menschen immer risikoaverser zu werden, warnt IW-Ökonom Markus Demary und sieht hier speziell die Geldpolitik in der Verantwortung: Denn die Niedrigzinsen würden nicht zu mehr Investitionen führen, sondern seien ein Signal für ein Strukturproblem in der Währungsunion, was die Investoren eher hemme. Verzerrungen allerortenVor diesem Hintergrund sehen sich Politik und Notenbank gleichwohl zu Handlungen getrieben, welche eine Lösung eher noch weiter erschweren. Demary kritisiert die fortschreitende Staatsverschuldung und die Anleihekäufe der Notenbank. Banken saugten sich mit den Staatspapieren voll, weil die Europäische Zentralbank (EZB) letztlich eine Quasigarantie übernehme. Die Anleihen sind ja schnell an sie weiterzuveräußern. Das würde zu weiteren Verzerrungen führen.Kooths spricht in diesem Zusammenhang von einer “Zombifizierung” der europäischen Wirtschaft, weil die Notenbank Unternehmen und Banken, die eigentlich vom Markt verschwinden müssten, am Leben halte. Für “gefährlich” hält er obendrein die Ansicht vieler Ökonomen, der Geldpolitik eine quasi “hydraulische Funktion” für die Gesamtwirtschaft zuzumessen. Dabei sei die Notenbank völlig untauglich für die makro- und mikroökonomische Steuerung. Vielmehr würden damit die relativen Preise verzerrt und die Statistiken verfälscht, nach denen sich die Notenbanker und die Wirtschaftspolitiker richteten. Je länger die Notenbank diesen geldpolitischen Kurs beibehalte und je stärker sie in den Markt eingreife mit dem Ziel der Wachstumsstimulation, desto größer werde die Rückschlagsgefahr. Kooths warnt: “Die EZB spielt mit der Existenz der Währung!” Votum für FiskalunionAllerdings stellt sich die Frage, ob angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Stimmungen und Strömungen eine politische Kehrtwende auf einen Stabilitätskurs überhaupt noch durchsetzbar wäre oder ob das nicht gleich in einer Revolte enden würde. Kater lobte die Anpassungen, die die Eurozone etwa mit der Etablierung des Eurorettungsfonds ESM bereits gemacht hat. Das sei aber nicht genug. Damit die Menschen wieder Vertrauen fassen und auch Reformen akzeptierten, benötige man eine umfassende Fiskalunion, welche auch in der Lage sei, die Globalisierungsgewinne besser zu verteilen. Denn jene Menschen, die sich abgehängt und als Verlierer fühlten, würden ansonsten populistisch und nationalistisch wählen. Jede funktionierende Währungsunion benötigt nach Meinung Katers eine Fiskalunion – letztlich eine Institution der finanziellen Umverteilung, die in Deutschland unter dem Begriff der Transferunion gegeißelt wird. Aber auch die Staatlichkeit und Integrität Deutschlands werde auf diese Weise gesichert, führt Kater an. In den USA würden 60 % der öffentlichen Finanzen über den Bund weiterverteilt, in der EU nur 3,5 %. Ob das aber genügt zur Stabilisierung des Währungsraums und überhaupt durchsetzbar wäre, zumal in Deutschland? Auch Kater hat da seine Zweifel.