ANSICHTSSACHE

Europa muss Schulden abbauen und die Kapitalmarktunion stärken

Börsen-Zeitung, 29.1.2019 Kaum war die Neujahrsansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel verklungen, verkündete Bundesfinanzminister Olaf Scholz, dass "die fetten Jahre vorbei sind". Forschungsinstitute und der Sachverständigenrat für Wirtschaft...

Europa muss Schulden abbauen und die Kapitalmarktunion stärken

Kaum war die Neujahrsansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel verklungen, verkündete Bundesfinanzminister Olaf Scholz, dass “die fetten Jahre vorbei sind”. Forschungsinstitute und der Sachverständigenrat für Wirtschaft hatten bereits Ende 2018 den Daumen gesenkt. Zu ungewiss ist, wie die Märkte auf den Brexit, den Ausstieg der Europäischen Zentralbank (EZB) aus dem Anleihekaufprogramm oder eine mögliche Zinswende reagieren. Gleichzeitig werfen Europa- und Landtagswahlen in Deutschland ihre Schatten voraus, die die politische Landschaft auf den Kopf stellen könnten. Zudem geht die große Koalition dringende Reformen nur zögerlich an. Die entscheidende Frage lautet: Wie gut sind Deutschland und Europa vorbereitet auf einen sich drehenden Konjunkturwind? Staatsverschuldung steigt Noch in seiner Rede zur Lage der Union verkündete EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stolz, dass sich die Haushaltslage der Staaten der Europäischen Union verbessert habe. Tatsächlich ist jedoch das Gegenteil der Fall: Lag die Staatsverschuldung in der Eurozone 2007 bei knapp 65 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) – und damit zumindest in der Nähe der Maastricht-Kriterien -, beläuft sie sich heute ohne Deutschland auf 98 % des BIP. Target-Salden, faule Kredite und die Bilanzausweitung der EZB führen zu Risiken, die im Hintergrund gären.Angesichts guter Konjunktur und niedrigster Zinsen ist die ausbleibende Konsolidierung nur mit mangelndem politischem Willen zu erklären. Europa bekämpft die Schuldenkrise lieber mit immer neuen Schulden. Dies ist jedoch kein europäisches Problem. Weltweit wird die Geld- und Fiskalpolitik seit Jahren asymmetrisch betrieben. Im Abschwung nehmen Staaten Schulden auf, die sie im Aufschwung nicht abbauen. Die Zentralbanken senken im Abschwung die Zinsen, ohne sie im Aufschwung wieder auf ein ähnliches Niveau anzuheben. So sind die realen Zinsen sukzessive gefallen, die Schulden aber sprunghaft in die Höhe geschossen. Im Ergebnis sind wir für neue Krisen nicht gerüstet. Anders als 2008 gibt es keine fiskalischen und monetären Spielräume. Die Verschuldung liegt in vielen Euro-Ländern auf besorgniserregendem Niveau, und Nullzinsen lassen sich kaum weiter senken. Es rächt sich, dass Europa das Grundproblem Verschuldung nicht angepackt hat. Neue Balance und Ehrlichkeit Ohne Frage hat die Politik wichtige Weichen gestellt, um das Finanzsystem zu stabilisieren. Aber vieles passt nicht zusammen oder schießt über das Ziel hinaus. Hier braucht es eine neue Balance – und vor allem Ehrlichkeit. Eine Debatte über Europa muss mit dem Eingeständnis beginnen, dass wir ein massives Schuldenproblem haben. Fast ein Jahrzehnt nach Beginn der Krise setzen viele Euro-Länder immer noch auf Wachstumsmodelle, die sich übermäßig auf Kredite stützen. Um die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland oder Spanien zu bekämpfen, reicht es nicht, Geld umzuverteilen. Ein soziales Europa muss die Probleme an der Wurzel packen.Die EU sollte auf Projekte setzen, die Wachstumskräfte freisetzen. Wir brauchen keine Fiskalkapazität, die die Folgen schlechter nationaler Wirtschaftspolitik auf alle Staaten überwälzt, sondern eine Risikoteilung über die Kapitalmärkte. Dafür müssen wir die Kapitalmarktunion stärken.Zudem braucht Deutschland einen starken Finanzplatz. Der Brexit bietet die Gelegenheit. Voraussetzung ist jedoch, dass wir das Thema Finanzmarkt positiv besetzen und dafür werben. Die von Friedrich Merz angestoßene Debatte ist richtig: Deutschland spart falsch. Wir haben das geringste Median-Haushaltsvermögen im Euroraum und den kleinsten Anteil an Wohneigentum. In Ländern wie Schweden oder den Niederlanden liegt das Pro-Kopf-Einkommen ähnlich hoch wie bei uns. Aber das Geldvermögen ist im Schnitt doppelt so hoch, obwohl die deutsche Sparquote höher ist. So wenig zielorientiert wir individuell sparen, tun wir es auch als Volkswirtschaft. Überschüsse ohne Rendite Deutschland zählt zu den stärksten Exportnationen der Welt. Doch die Überschüsse sind nur vorteilhaft, wenn wir positive Renditen erzielen und das Auslandsvermögen wieder zurückholen. Beides funktioniert nicht. Unser Nettoauslandsvermögen belief sich Ende 2017 auf 1 927 Mrd. Euro, also um 833 Mrd. Euro niedriger als die Summe der seit 1981 erwirtschafteten Leistungsbilanzüberschüsse.Die Niedrigzinspolitik der EZB richtet in unserem Finanzsystem großen Schaden an. Deutschland – Staat, Unternehmen und private Haushalte – ist Nettogläubiger. Zinsrückgänge belasten Sparer, die Hunderte Milliarden Euro verlieren. Das deutsche Nettoauslandsvermögen in Europa und den USA wäre Ende 2017 um 641 Mrd. Euro höher ausgefallen, wenn es auf dem Niveau von 2007 verzinst und thesauriert worden wäre. Gleichzeitig verdienen Banken nichts mehr an Krediten oder Fristentransformation, und Versicherer geraten unter Druck. Die Nettoersatzquote zeigt, warum gerade deutsche Sparer Sicherheit und Rendite benötigen. Sie setzt die Durchschnittsrente ins Verhältnis zum Durchschnittsverdienst. In den OECD-Staaten liegt sie im Schnitt bei 63 %. Frankreich leistet sich 70 %, Italien und Portugal mehr als 90 % – wir nur 50 %.Deutschland braucht endlich eine erfolgreiche Strategie, statt auf das Prinzip Hoffnung zu setzen. Die Bundesregierung ist aufgerufen, die Verschuldung in der Eurozone, das Thema Finanzplatz und die Niedrigzinspolitik in Europa klar zu adressieren. Die EU muss diese Debatte jetzt führen. Klar ist jedoch: Ohne Abkehr von der Schuldendroge und ohne stabiles Banken- und Finanzsystem mit globaler Reichweite werden Deutschland und Europa ihre starken Positionen nicht halten können.—-Wolfgang Steiger ist Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Wolfgang SteigerDie Bundesregierung ist aufgerufen, die Verschuldung in der Eurozone, die Stärkung des Finanzplatzes und die Niedrigzinspolitik zu adressieren.