IM INTERVIEW: ALEXANDER NOWAK

"Europa muss Souveränität wahren"

Der russische Energieminister warnt vor den Konsequenzen der US-Sanktionen für Nord Stream 2

"Europa muss Souveränität wahren"

Russlands Energieminister Alexander Nowak sucht das Gespräch mit der EU, um Nord Stream 2 zu retten. Im Interview mit der Börsen-Zeitung spricht er über die Opec, die Angst der Amerikaner vor Konkurrenz und über Gerhard Schröders Einstieg bei Rosneft.- Herr Nowak, die Allianz aus Opec- und zehn Nicht-Opec-Staaten erfüllt ihre Zusagen, die Förderung zu drosseln, offenbar tadellos. Um den Preis weiter zu stützen, steigt nun der Druck auf Libyen und Nigeria, dass auch diese Länder ihre Förderung begrenzen. Geht es hier nicht um Peanuts? Was könnte ihre Teilnahme bringen?Die beiden Länder haben der Vereinbarung im November ja auch zugestimmt, nur wurde für sie noch kein Produktionslimit aufgestellt. Seit Beginn der Vereinbarung haben beide Staaten die Produktion um 500 000 Barrel gesteigert. Wir denken, dass sie mit zunehmender Förderung das Limit fixieren und zumindest bis zum Auslaufen der Vereinbarung (Ende März 2018) einhalten müssen. Der nigerianische Minister hat uns bestätigt, dass er bei Erreichen der Tagesförderung von 1,8 Mill. Barrel auf die Bremse steigt. Man sollte wissen, dass die Fördersituation in diesen Ländern nicht einfach und sehr volatil ist. In Libyen wurden im August fast um 100 000 Barrel weniger gefördert als im Juli.- Unabhängig davon bleibt die große Frage, wie die Allianz der erweiterten Opec nach dem Auslaufen der Vereinbarung Ende März weitermacht. Im November wird man ja voraussichtlich darüber diskutieren. Saudi-Arabien oder der Irak plädieren für eine Verlängerung. Russland nicht. Schließen Sie eine weitere Teilnahme aus?Sollte sie zweckmäßig sein, werden wir die Frage prüfen.- Was heißt zweckmäßig?Zweckmäßig heißt, dass der Markt bis zum 1. April möglicherweise nicht endgültig ausbalanciert ist. Sollte eine solche Prognose bestehen, werden wir die Frage, ob wir das Abkommen verlängern sollen, prüfen. Jetzt kann man das noch nicht sagen. Wir wissen nicht, wie die Marktsituation sein wird. Es gibt einfach zu viele Umstände, und es braucht eine qualitative Prognose. Die Option, das Abkommen zu verlängern, besteht. Wir schließen sie nicht aus.- Das heißt, dass Russland nicht kategorisch dagegen ist?Das haben wir auch nie gesagt.- Wenn die Produktionsdrosselung ausläuft, könnte das ein Schock mit einem abermaligen Preisabsturz sein.Die Vereinbarung muss zu Zeiten einer steigenden Nachfrage beendet werden. Und diese kommt ja in der Sommerperiode auf. Wenn die Nachfrage zunimmt, können alle sukzessive aus der bestehenden Vereinbarung aussteigen.- Ist dieses Szenario also wahrscheinlich geworden? Schließlich deuten die Prognosen auf mehr Nachfrage 2018 hin.Wir sehen, dass in diesem Jahr die Nachfrage schneller wächst als anfänglich prognostiziert. Statt 1,2 Mill. werden nun 1,4 Mill. Barrel zusätzlich nachgefragt.- Sie sagten angesichts der steigenden Ölpreise, dass die Allianz der Förderländer mit ihrer Produktionsdrosselung ihre Effizienz gezeigt hat, woran ja lange gezweifelt worden war. Man muss aber ehrlich sein und sagen, dass eben auch die Nachfrage gestiegen ist, in den USA Hurricans gewütet haben und so weiter. Es gibt also viele Ursachen. Wie hoch taxieren Sie den Anteil der Förderdrosselung?Sie spielte die Schlüsselrolle, denn sie brachte Ruhe und Vertrauen in den Markt. Heute überragt die Nachfrage das Angebot bereits um eine Mill. Barrel täglich. Die Lagerbestände liegen nur noch um 170 Mill. Barrel über dem Fünfjahresdurchschnitt – halb so viel wie vorher.- Aber sobald der Preis steigt, nimmt die Förderung in den USA wieder zu und macht den Effekt zunichte. Die Commerzbank-Analysten haben das einmal mit einem Spiel zwischen einer Katze und vielen Mäusen verglichen. Letztere seien einfach zu viele und zu schnell.Als wir uns am 10. Dezember 2016 zum ersten Mal auf Förderkürzungen geeinigt haben, haben wir eine zunehmende Förderung in den USA einkalkuliert. Sie fand auch tatsächlich statt, wurde aber in den vergangenen Monaten nicht mehr bedeutend ausgeweitet. Dafür fehlte das Potenzial. Wir haben wiederholt gesehen, dass sich die Analysten geirrt haben. Wir werden das Monitoring gelassen fortführen. Die Förderkürzungen haben in jedem Fall mehr Vorteile als Nachteile.- Im Moment tritt der staatliche Ölkonzern Rosneft immer mehr in den Fokus, zumal Gerhard Schröder dort für den Aufsichtsrat kandidiert.Gazprom und Rosneft sind börsennotierte Unternehmen mit ausländischen Aktionären. Gazprom und Rosneft sind konkurrenzfähig, weil der Selbstkostenpreis bei der Förderung niedrig ist.- Ist die westliche Reaktionen auf Schröders Kandidatur für den Rosneft-Aufsichtsrat übertrieben?Meines Erachtens ist Schröders Kandidatur ein sehr bedeutsames Ereignis und für den Markt positiv. Ein Mensch mit einer derart großen Erfahrung im Konzernmanagement wird an der Leitung eines der weltweit größten Konzerne teilnehmen. Außerdem tritt Schröder für eine konsequente Wiederherstellung und Entwicklung der Beziehungen zwischen Russland und Europa beziehungsweise Russland und Deutschland ein. Das ist doch ein positives Faktum.- Was werden seine Funktionen sein?Die, die jedes Mitglied eines Direktoriumsrates hat. Und wenn man ihn zum Chef macht, wird er dieses Gremium eben führen.- Braucht man ihn wegen seiner politischen Kontakte in Europa oder ist entscheidend, dass er mit Putin befreundet ist?Der Hauptfaktor ist Schröders große Erfahrung und seine fachliches Know-how. Schröder wird unabhängiges Direktoriumsmitglied. Er kann Spezialisten ins Unternehmen holen, die zusätzliche Erfahrung in der Corporate Governance bringen.- Und was könnte Europa oder Deutschland davon haben?Einen Zuwachs an Vertrauen und mehr Transparenz. Wenn solche Personen ins Unternehmen kommen, heißt das auch, dass das Unternehmen offener und verständlicher wird.- Sie selbst sind ja Mitglied in Direktoriumsräten gleich mehrerer russischer Großkonzerne. Sagen Sie, was können ausländische Aufsichtsräte russischen Unternehmen generell bringen?Erstens sind sie unabhängige Experten, die bei Beschlussfassungen ihre wichtige Einschätzung abgeben. Das heißt, dass die Entscheidungen offen gefällt werden. Und sie steigern die Corporate Governance.- Die EU plant, dem Kommissar für die Energieunion, Maros Sefcovic, ein Mandat für Verhandlungen über den Ausbau von Nord Stream zu erteilen …… Soweit ich weiß, wird das noch geprüft, entschieden ist es nicht.- Zu hören ist, dass sich ein Treffen zwischen Ihnen und ihm derzeit nicht so leicht einrichten lässt.Operativ können wir das immer einrichten. Zu sagen ist: Das Projekt Nord Stream 2 wird von kommerziellen Unternehmen umgesetzt. Die Investitionen werden von europäischen Unternehmen und Gazprom getragen. Alles ist durch europäische Gesetze reguliert. Wir verstehen von juristischer Seite nicht, was nun ein Mandat soll.- Wenn das Mandat aber dennoch erteilt wird, was dann?Das wäre beispiellos. Es gibt keinen Präzedenzfall. Und es ist nicht klar, wohin so ein Präzedenzfall in Zukunft führen würde. Was ist, wenn ein Unternehmen eine Ölraffinerie bauen will? Braucht es dann plötzlich ein Mandat der EU? Oder ein Industrieunternehmen? Hier ist etwas grundsätzlich und zwar im Prinzip unverständlich.- Ersten Einschätzungen zufolge könnte die EU auf einen Kompromiss abzielen. Und zwar, dass Gazprom nicht am operativen Management der Pipeline teilnimmt. Soll einfach heißen, dass man das Dritte Energiepaket der EU, das die Trennung von Gasproduzenten und Pipelinebetreibern vorschreibt, auf Nord Stream 2 ausweitet. Könnte ein Kompromiss nötig werden?Wir halten uns beim Bau der Pipeline gänzlich an die geltende Gesetzeslage. Für den Meeresweg ist ja kein Drittes Energiepaket vorgeschrieben, weil es kein EU-Territorium ist, und auf dem Landweg werden alle Anforderungen des Energiepakets eingehalten. Ich bitte Sie, da sind Investoren, Firmen, die hier teilnehmen, die wollen einfach, dass sich ihre Investitionen rechnen.- Wäre Russland zu einem Kompromiss bereit?Lassen Sie uns einmal klären, was ein Kompromiss ist, und dann reden wir davon, ob wir dazu bereit sind oder nicht.- Jetzt kommt seitens des Westens ja noch hinzu, dass die USA mit neuen Sanktionen die Realisierung von Nord Stream 2 verhindern wollen. Schon denken die Beteiligten über neue Finanzierungsmöglichkeiten nach, um das Projekt zu retten. Welches Finanzierungsschema wäre denkbar?Das ist Sache der Unternehmen.- Aber das Projekt ist für Russland strategisch wichtig.Wir unterstützen die Umsetzung, ja. Und wir denken, dass es wirtschaftlich attraktiv ist, was ja auch die Effizienz von Nord Stream 1 zeigt. Ein kurzer Weg zum Verbraucher, ein halb so hoher Selbstkostenpreis. Es ist unverständlich, dass plötzlich irgendwelche dritten Staaten etwas verbieten, was vorteilhaft für Europa ist. Wir denken, dass diese Behinderungsmaßnahmen in erster Linie dazu da sind, Konkurrenz zu verhindern. Sie sind nicht gegen Russland, sondern gegen Europa gerichtet, das seine Souveränität und die Wahlmöglichkeit bei Energieprojekten verliert. Hier werden alle Marktprinzipien liquidiert. Das US-Flüssiggas ist derzeit um 70 % teurer als das Pipelinegas.- Russland selbst beginnt soeben, Flüssiggas zu exportieren.Aber wir sind zur Konkurrenz bereit. Wir sagen ja nicht, lasst uns irgendwelche Lieferungen blockieren.- Vor 50 Jahren haben Deutschland und Russland den Gas-Röhren-Vertrag umgesetzt und die Energiekooperation gestartet, obwohl Amerika dagegen Sturm gelaufen ist. Ist das Europa von heute einfach feige?Die europäischen Länder müssen daran interessiert sein, ihre Souveränität zu wahren und selbständige Entscheidungen zur Realisierung kommerzieller Investitionsprojekte auf ihrem Territorium zu treffen.- Die USA verhehlen ja gar nicht, dass es ihnen um den eigenen Flüssiggas-Export geht. Die Erwartungen sind sehr hoch angesetzt. Wie viel kann Amerika Ihres Erachtens in den kommenden zehn Jahren liefern?Das wird von der Konjunktur, den Marktpreisen, den eigenen Möglichkeiten abhängen. Im Moment ist US-Flüssiggas nicht konkurrenzfähig. Wenn es freilich so weit kommt, dass man jegliche Gasimporte in die EU – nicht nur aus Russland, auch aus Algerien oder Katar – verbietet, dann wird man doppelt so teuer in den USA einkaufen. Andernfalls regelt alles die Konkurrenz.- Im Juni sagten Sie, dass der Ende 2019 auslaufende Transitvertrag mit der Ukraine nicht verlängert wird. Inzwischen scheint die Position abgeschwächt. Wird man verlängern?Das wird von den Verhandlungen zwischen Gazprom und der ukrainischen Naftogaz abhängen. Bislang finden keine Verhandlungen statt.- Durch wessen Schuld? Es ist allmählich Zeit, oder?Wenn es irgendwelche kommerziellen Vorschläge gibt, die für Gazprom interessant sind, ist Gazprom zu Verhandlungen bereit.- Der Ball liegt im Feld der Ukraine, die den Transit ja will?Wir sehen, dass Vorschläge auftauchen, die Kosten für den Transit zu verdoppeln. Wozu? Das ist inakzeptabel.- Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko schlägt vor, dass die Europäer russisches Gas nicht mehr an der Westgrenze der Ukraine übernehmen, sondern an der Ostgrenze. Was halten Sie davon?Wir halten das für nicht angemessen.- Die Ukraine hat das Internationale Schiedsgericht angerufen und will Gazprom-Vermögen konfiszieren, weil Gazprom durch die Benutzung des ukrainischen Transitnetzes dem Land Schaden zugefügt habe. Wie reagieren Sie?Wir haben der EU-Kommission einen Brief geschrieben, dass sich nämlich unsere Befürchtungen hinsichtlich der Aktionen seitens des ukrainischen Staates und seitens Naftogaz als berechtigt herausgestellt haben. Die EU-Kommission und Herr Sefcovic hatten uns ja versichert, dass es keine Risiken gebe. In Wirklichkeit aber sind die Risiken sehr wohl da.- Und hat die EU geantwortet?Ja. Sehr schwammig.—-Das Interview führte Eduard Steiner.