Italien

Europäische Wirtschafts-Lokomotive Italien bremst ab

Italien wächst stärker als die anderen europäischen Länder. Das Wachstumstempo verlangsamt sich aber. Und Regierungschefin Giorgia Meloni geht auf Konfrontationskurs zur EU und zur EZB.

Europäische Wirtschafts-Lokomotive Italien bremst ab

Europäische Wirtschafts-Lokomotive Italien bremst ab

Premierministerin Meloni geht auf Konfrontationskurs zu Europa – Im Herbst kommt die Stunde der Wahrheit

bl Mailand

Italiens Wirtschaft wächst in diesem Jahr vermutlich um 1,2%. Damit ist das Land dank kräftig steigender Exporte der Industrie und des florierenden Tourismus die Lokomotive in Europa. Doch es ziehen Wolken auf. Steigende Zinsen und Inflation bedrohen das Wachstum. Die Industrieproduktion ist rückläufig, und jetzt wird auch in Italien über eine mögliche Rezession diskutiert. Premierministerin Giorgia Meloni ist zunehmend nervös und geht auf Konfrontationskurs zu Europa.

Sechs Monate hatte Meloni stillgehalten und sich zahm und pragmatisch gegeben. Doch dann teilte sie vor dem Abgeordnetenhaus in ungewöhnlich scharfer und aggressiver Form gegen die EU und Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), aus. Sie kritisierte Lagarde wegen der wiederholten Zinserhöhungen, die das Wachstum abtöteten. Dabei war es die EZB, die Italien über viele Jahre mit ihrer Nullzinspolitik und dem Aufkauf von Staatsanleihen massiv unter die Arme gegriffen hatte.

Italien weigert sich zudem seit Monaten als einziges EU-Land, die Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu ratifizieren, der im Bedarfsfall Krisenbanken retten soll. Meloni würde das Geld lieber ausgeben. Sie fordert zudem weichere Regeln für den künftigen Stabilitäts- und Wachstumspakt, aus dem „strategische Investitionen“ ausgeklammert werden müssten. Dabei ist sie nicht in der Lage, die von der EU geforderten Änderungen im europäischen Aufbauprogramm, dessen größter Nutznießer Rom mit 191,5 Mrd. Euro ist, umzusetzen und die erhaltenen Gelder auszugeben. Brüssel blockiert deshalb die Auszahlung von 19 Mrd. Euro.

Meloni fühlt sich angesichts von Umfragen, nach denen sie in Italien auf 30% der Stimmen käme, und aufgrund der guten Wirtschaftsdaten stärker denn je. Sie ist gut gestartet, zeigte sich geschmeidig und legte zum Ende 2022 einen weitgehend EU-konformen Haushalt für 2023 vor. Und sie ist sehr aktiv bei der Bekämpfung der Flüchtlingswelle, indem sie etwa, zusammen mit der EU, ein Abkommen mit Tunesien aushandelte.

Nun droht sie zu überreizen. Der Ärger nicht nur in Brüssel wächst. Denn die selbstbewusste Meloni liefert nicht. Von der EU verlangte Reformen des Wettbewerbsrechts zur Liberalisierung des Taximarktes oder der Strandbadkonzessionen sowie eine Katasterreform sind verschoben oder gestrichen worden. Die Regierung verteidigt lieber die Partikularinteressen ihrer Wähler. Auch die Verknüpfung ihrer Zustimmung zum ESM mit europäischen Zugeständnissen beim Stabilitätspakt und dem Wiederaufbauprogramm verstimmt die Partner.

Indes bremsen die hohen Zinsen die Wirtschaft, die weniger Kredite nachfragt. Der mit mehr als 140% des Bruttoinlandsprodukts verschuldete Staat muss außerdem wesentlich mehr für die Aufnahme neuer Schulden zahlen. Meloni fehlen die Mittel, teure Wahlversprechen wie umfangreiche Steuersenkungen und die Verlängerung großzügiger Vorruhestandsregeln umzusetzen. Und die Flüchtlingszahlen explodieren. Dabei hatte Meloni versprochen, sie drastisch zu senken. Geht es so weiter, droht ihr ein böses Erwachen.

Noch gibt sich die EU zurückhaltend, doch die Stunde der Wahrheit wird kommen. Meloni zeigt zwar gutes Einvernehmen mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und mit Kanzler Olaf Scholz (ISPD), mit dem sie einen gemeinsamen Aktionsplan zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen Berlin und Rom unterzeichnet hat. Doch gleichzeitig lehnt sie sich eng an die autokratischen Regierungen Polens und Ungarns an und hofft bei den Europawahlen 2024 auf einen Wahltriumph der Rechtsparteien. Ginge es nach ihrem Koalitionspartner Matteo Salvini, könnten sogar die rechtsradikale Marine Le Pen und die deutsche AfD Bestandteil einer möglichen Mehrheit sein. Spätestens im Herbst wird sie Farbe bekennen müssen – beim ESM und beim Stabilitätspakt. Und dann muss sie einen EU-konformen Haushalt für 2024 vorlegen, der ihre Wähler enttäuschen könnte.

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