ANSICHTSSACHE

Europäische Regionalpolitik statt eines Staatsinsolvenzrechts

Börsen-Zeitung, 7.8.2015 Die europäische Staatsschuldenkrise und die Probleme der Zahlungsfähigkeit Griechenlands weisen darauf hin, dass angesichts der immensen wirtschaftlichen und sozialen Kosten staatlicher Zahlungsausfälle endlich neue Wege...

Europäische Regionalpolitik statt eines Staatsinsolvenzrechts

Die europäische Staatsschuldenkrise und die Probleme der Zahlungsfähigkeit Griechenlands weisen darauf hin, dass angesichts der immensen wirtschaftlichen und sozialen Kosten staatlicher Zahlungsausfälle endlich neue Wege beschritten werden sollten, um in Zukunft Staatspleiten zu verhindern. Dies gilt umso mehr, als die demografischen Herausforderungen die Staatshaushalte der Industrieländer in den nächsten Jahrzehnten sehr fordern dürften.Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung (SVR) hat in seinem Sondergutachten zum Thema Griechenland die Implementierung eines Insolvenzregimes für Staaten angemahnt – geht dabei aber leider zu wenig ins Detail. Grundsätzlich hat der SVR durchaus recht, dass es derzeit sowohl an einer Disziplinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik als auch an einem glaubhaften Krisenreaktionsmechanismus im Euroraum mangelt. Er weist darauf hin, dass ein Insolvenzmechanismus erforderlich sei, um die Haftungsverschiebung auf andere Mitgliedstaaten auszuschließen. Der Mechanismus sieht die Verlustbeteiligung der Gläubiger vor, weshalb er nicht nur der Verlustabsorption im Krisenfall, sondern vor allem der Krisenprävention dient. Denn Ausfallrisiken werden durch Risikoaufschläge mitberücksichtigt. Ohne Anpassungsprogramm ist der Anreiz für Schuldner, die mit einer Umschuldung rechnen, aber zu groß, sich noch höher zu verschulden. Insofern ist ein derartiges Anpassungsprogramm notwendige Voraussetzung für ein solches Insolvenzregime.Optimalerweise würde eine staatliche Insolvenz quasi automatisch entlang bestimmter Regeln und Prüfsteine erfolgen. So könnte bei Überschreiten einer Schuldenstandsquote von 90 % des Bruttoinlandsprodukts eine Umschuldung unter Beteiligung privater Gläubiger zwingend sein. Die bereits hohen staatlichen Schuldenstände verhindern derzeit indes die Einführung einer derartigen Insolvenzordnung. DemokratiekompatibilitätWir teilen zwar die Skepsis des SVR, was die Bereitschaft angeht, einen weiteren Souveränitätsverzicht zu leisten. Wir sind aber gleichzeitig auch skeptisch bezüglich des vorgeschlagenen Insolvenzregimes. Zum einen besteht ein Staat – im Gegensatz zu einem Unternehmen – auch nach einer Insolvenz weiter. Insofern ist von entscheidender Voraussetzung für den sozialen Frieden des betroffenen Landes, dass eine Insolvenz oder ein Schuldenschnitt demokratiekompatibel ist. Die Bürger müssen bei den Reformen “mitgenommen” werden. Daher braucht das Land Anreize zu Strukturreformen – und die dürfen nicht von außen (über Programme) diktiert werden.Diese Anreize zur Konsolidierung und zu Reformen könnten noch am besten durch einen Rückgriff auf das Regionalprinzip in Staatenbünden gesetzt werden. Nicht nur die EU, sondern auch andere Staaten und Staatenbünde verfügen über Mechanismen, um eine Angleichung der Lebensstandards herbeizuführen und Regionen, die historisch bedingte strukturelle Wettbewerbsfähigkeitsnachteile aufweisen, zu fördern. Steht eine schwache Region vor dem Bankrott, wird das Ziel der Angleichung der Lebensstandards aber dadurch konterkariert, dass bonitätsbedingt höhere Zinsen nötige Investitionen behindern. Vor dem Hintergrund europäischer Regionalpolitik ist eine dogmatische “No Bail-out”-Klausel daher kontraproduktiv.Somit gilt es zu versuchen, die Regionalpolitik durch eine Neuformulierung der europäischen Regionalpolitik mit dem makroökonomischen Stabilisierungsziel zu verzahnen. Hierbei ist das Prinzip des “Forderns und Förderns” zu verfolgen. Zwar sollten von den insolvenzbedrohten Ländern Konsolidierungs- und Reformbemühungen eingefordert werden. Da aber diese aller Erfahrung nach in den ersten Jahren die Verschuldungsquote sogar erhöhen und den Reformwillen der Bevölkerung durch eine höhere Arbeitslosigkeit unterminieren, sollten diese negativen Effekte durch Mittel aus den europäischen Regionalfonds abgefedert werden. Diese Zuschüsse wären unwiederbringlicher Natur und würden kein Darlehen darstellen. Ein Zuschuss an das betroffene Land käme hier einem Verzicht auf einen Schuldenschnitt gleich.Zur Implementierung dieser Regionalpolitik als Stabilitätsinstrument müssten Regionalfonds entwickelt werden. Dies könnte über den Aufbau eines Kapitalstocks über Strukturfondsmittel, die als Teil der nationalen Einkommensteuer an die EU-abgeführt werden, geschehen. Am besten würde dies über Mittel für die Regionalentwicklung (EFRE) gehen.Das Gesamtvolumen aus ESF, EFRE und dem Kohäsionsfonds beträgt für 2015 bis 2020 rund 325 Mrd. Euro. Hiervon könnte die Hälfte als Kapitalstock dienen. Der Kapitalstock sollte dazu benutzt werden, Liquiditätsengpässe abzufedern und einen Anreiz zur Budgetkonsolidierung zu ermöglichen. Eine Auszahlung müsste mit einer Haushaltskonsolidierungsauflage einhergehen. Auszahlungssätze sollten an Haushaltsmehreinnahmen und Ausgabenkürzungen, die nichtproportional gestaltet werden, geknüpft werden. Stützpfeiler der EUDie Befolgung des Prinzips “Konsolidierung gegen (regionale) Zuschüsse” hätte folgende Effekte: Erstens würden die anfänglichen negativen Konsolidierungsfolgen abgefedert werden. Damit würde zweitens der Reformwillen der Bevölkerung nicht durch eine höhere Arbeitslosigkeit und ein von ihr als zu hart empfundenes Sparen unterminiert werden. Drittens würden Reformanstrengungen belohnt, da erhöhte Konsolidierungsanstrengungen mit vermehrten Zuschüssen einhergingen.Das oft gescholtene Instrument der Regionalpolitik ist letztlich einer der erfolgreichen Stützpfeiler der EU. Mit ihrer zusätzlichen Rolle als Stabilisierungsinstrument würde sie nicht nur Schuldenprobleme lösen helfen, sondern es würde auch ihr selbst zu größerer Akzeptanz und mehr Investitionen verholfen.Uwe Burkert ist Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Uwe BurkertDie Umsetzung von Strukturreformen muss mit Finanzhilfen unterstützt werden, um die Härten der ersten Jahre abzufedern.——-