PERSONEN

Europas einflussreichster Souffleur tritt ab

Von Detlef Fechtner, Frankfurt Börsen-Zeitung, 17.7.2019 Misst man den Einfluss einer Person an der Zahl ihrer Gegner und Kritiker, dann gibt es in Brüssel wenige, die mit Martin Selmayr mithalten können. Der in Bonn geborene EU-Beamte hat nicht...

Europas einflussreichster Souffleur tritt ab

Von Detlef Fechtner, FrankfurtMisst man den Einfluss einer Person an der Zahl ihrer Gegner und Kritiker, dann gibt es in Brüssel wenige, die mit Martin Selmayr mithalten können. Der in Bonn geborene EU-Beamte hat nicht nur das EU-Parlament in Schnappatmung versetzt, weil er sich an einem Tag gleich zwei Mal befördern ließ, – was die EU-Abgeordneten dazu bewog, Selmayrs Blitzaufstieg in einer Entschließung als “putschartige Aktion” zu geißeln. Der mittlerweile 48 Jahre alte Jurist hat es auch vermocht, Dutzende Minister auf die Palme zu bringen. Legendär etwa, als er 2007 auf der Cebit durch frühzeitige Briefings der Presse den damaligen Wirtschaftsminister Michael Glos vor den Kameras zu Zugeständnissen in Sachen Roaminggebühren zwang, die Glos eigentlich gar nicht machen wollte.Die Liste der Spitznamen Selmayrs ist lang – Strippenzieher, Machiavelli, Rasputin. Darin klingt Ehrfurcht an – Ehre und Furcht. Ehre, weil es wohl kaum jemanden gibt, der Selmayr nicht außergewöhnliche Talente bescheinigen würde. Furcht, weil seine Kaltschnäuzigkeit berüchtigt ist, wenn es darum geht, die Regeln so weit wie gerade opportun zu biegen. Zu Selmayrs großen Talenten zählt sein Marketinggeschick – er könnte dem Papst ein Doppelbett verkaufen. Auch dürfte ihm niemand absprechen, dass er blitzgescheit und hochbegabt ist. Kennzeichnend für seinen Arbeitsstil ist, dass er sich nicht nur um große Fragen kümmert, sondern sich in viele Angelegenheiten auf niedriger Stufe einmischt. Jene, die ihn wertschätzen, loben die Aufmerksamkeit fürs Detail. Diejenigen, die ihm weniger wohl gesonnen sind, werfen ihm Kontrollwahn vor.An vielem, was in Brüssel entschieden wurde, hat Selmayr einflussreich mitgetan, quasi als Souffleur und Einflüsterer – an den Arbeiten zur Datenschutz-Grundverordnung oder an der Investitionsinitiative (“Juncker-Plan”). Dem habilitierten Rechtswissenschaftler ist es gelungen, seit 2004 die Karriereleiter in Höchstgeschwindigkeit zu erklimmen. Dabei hat er erstaunlicherweise bereits als einfacher EU-Sprecher unglaubliche Außenwirkung erzielt. Dass etwa Ex-EU-Kommissarin Viviane Reding zu den meistbeachteten EU-Vertretern zählte, dürfte im Wesentlichen dem pfiffigen Coaching durch ihren Spin Doctor zu verdanken sein.Selmayr hat es vom Reding-Sprecher bis zum ranghöchsten Beamten der EU-Kommission geschafft, dem Generalsekretär. Diesen Posten will er, wie gestern EU-Sprecher bestätigten, nächste Woche räumen, um den Weg für Ursula von der Leyen als EU-Kommissionschefin freizumachen. Denn die hatte jüngst signalisiert, dass es zwei Deutsche auf Spitzenposten der EU-Behörde nicht geben könne. Spekulationen zufolge könnte Selmayr im Amt als EU-Generalsekretär nun der Franzose Olivier Guersent folgen – ein guter Bekannter der deutschen Kreditwirtschaft. Denn er hat als rechte Hand von Ex-EU-Kommissar Michel Barnier einst Mifid, CRD und viele andere Vorgaben für Banken ausgetüftelt.