Europas Haushaltswächter schlagen Alarm
Europas Haushaltswächter schlagen Alarm
Fiskalausschuss: Staatsfinanzen verschlechtern sich – Rechnungshof entdeckt mehr Fehler und Risiken in EU-Budget
rec Brüssel
Der Fiskalausschuss mahnt, dass vermeintlich positive Trends bei den Staatsfinanzen in die Irre führten. Der Rechnungshof entdeckt mehr Fehler bei Ausgaben und warnt vor den Risiken steigender EU-Schulden. Die Erkenntnisse sind wegen laufender Verhandlungen über Finanzplanung und Fiskalregeln brisant.
Zwei Institutionen zur Kontrolle der öffentlichen Finanzen in Europa schlagen unabhängig voneinander Alarm. Der Europäische Fiskalausschuss macht in seinem Jahresbericht darauf aufmerksam, dass sich die Finanzen etlicher EU-Staaten schlechter entwickelten als auf den ersten Blick angenommen. Der Rechnungshof in Luxemburg entdeckt mehr Fehler im Umgang mit EU-Geldern und weist auf steigende Schuldenrisiken hin.
Die Erkenntnisse der Haushaltswächter sind angesichts laufender Verhandlungen über die Finanzplanung der Europäischen Union und die Fiskalregeln brisant. Das EU-Parlament hat sich gerade hinter Pläne der EU-Kommission gestellt, den EU-Haushalt bis 2027 um 66 Mrd. Euro aufzustocken. Die EU-Staaten weisen das Ansinnen zurück. Sie sind ihrerseits unter Zeitdruck, bis Ende des Jahres neue Regeln zum Schuldenabbau zu vereinbaren.
Inflation entwertet Schulden
Auf eine zügige Einigung dringt der Fiskalausschuss, ein Gremium, das die EU-Kommission berät. Die Fachleute mahnen: Jüngste Erfolge beim Schuldenabbau seien hauptsächlich auf die hohe Inflation zurückzuführen. Die starken Preissteigerungen 2022 hätten die angehäuften Schulden entwertet, indem sie die Staatseinnahmen trieben.
Dieses Phänomen werde sich bei rückläufiger Inflation und anhaltend höheren Zinsen bald umkehren, heißt es. Auch in den zuletzt niedrigeren Haushaltsdefiziten sieht der Fiskalrat keinen Anlass zur Beruhigung, im Gegenteil: Die üblichen Kennzahlen trögen und führten in die Irre. Denn sie "kaschieren tiefer liegende Ausgabentrends, die nicht nachhaltig sind".
Konkret alarmiert den Fiskalrat die Entwicklung der Nettoprimärausgaben: Dieser Posten, der den Schuldendienst ausklammert, liege vor allem für mittel und hoch verschuldete EU-Staaten über deren Potenzialwachstum. Was technisch klingt, hat einen ernsten Hintergrund: Ebendiese Stellgrößen sollen künftig maßgeblich sein, um die Schuldentragfähigkeit jedes einzelnen EU-Mitglieds zu berechnen.
Tilgungsplan fehlt
Zu einem ernüchternden Ergebnis kommt auch der Rechnungshof in Luxemburg mit Blick auf den EU-Haushalt. Die Prüfer kritisieren eine "erheblich" gestiegene Fehlerquote bei den Ausgaben. Das betrifft auch Auszahlungen aus dem EU-Wiederaufbaufonds: Sechs der 13 ausgereichten Tranchen in Höhe von 46,9 Mrd. Euro seien 2022 "in wesentlichem Ausmaß fehlerbehaftet gewesen".
Für den Wiederaufbaufonds nimmt die EU erstmals in großem Stil Gemeinschaftsschulden auf (siehe Grafik). Rechnungshofpräsident Tony Murphy kritisiert, es sei nach wie vor unklar, wie diese Schulden ab 2028 getilgt werden sollen. Die EU-Kommission könne nicht immer weiter Geld an Finanzmärkten aufnehmen, "ohne dass ein Plan zur Rückzahlung steht". Andernfalls sei eine Aufstockung des EU-Haushalts unumgänglich.
Ladenhüter EU-Darlehen
Besonderes Augenmerk legen die Rechnungsprüfer auf die Laufzeiten der EU-Anleihen. Ungefähr 60% der Bonds, die im Zuge des Wiederaufbaufonds (NGEU) in Umlauf sind, werden demnach in weniger als zehn Jahren fällig. Beim knapp 100 Mrd. Euro schweren Sure-Programm zur Unterstützung der Kurzarbeit in der Pandemie sind es knapp die Hälfte.
Die Zinskosten für Zuschüsse aus dem NGEU lasten auf dem EU-Budget, zumal die EU-Kommission sie drastisch unterschätzt hat. Die Zinskosten für Darlehen aus dem Programm müssen die EU-Staaten hingegen selbst tragen. Die EU-Kommission kann allerdings vor dem Hintergrund der Zinswende kaum attraktive Konditionen bieten. Folge: Anders als die Zuschüsse sind die Darlehen via NGEU Ladenhüter.