LEITARTIKEL

Europas Momentum

Dieses Bild vom Wochenende wird sicher noch einmal in einem Schulbuch oder Museum auftauchen: Die Finanzminister der sechs größten EU-Länder sitzen nebeneinander und sind ganz einer Meinung. Harmonie wie sonst nur auf Parteitagen: Wenn einer redet,...

Europas Momentum

Dieses Bild vom Wochenende wird sicher noch einmal in einem Schulbuch oder Museum auftauchen: Die Finanzminister der sechs größten EU-Länder sitzen nebeneinander und sind ganz einer Meinung. Harmonie wie sonst nur auf Parteitagen: Wenn einer redet, nicken alle anderen demonstrativ. Zwischen Frankreichs Pierre Moscovici, Großbritanniens George Osborne, Italiens Vittorio Grilli, Spaniens Luis de Guindos, Polens Jacek Rostowski und Wolfgang Schäuble passt an diesem Tag kein Blatt. Gewiss, man mag einwenden, dass es bei diesem Auftritt lediglich um ein spezielles Thema ging, den Informationsaustausch über Zinserträge. Man kann zudem entgegenhalten, dass wenig später Österreichs Finanzministerin Maria Fekter mit Vehemenz gegen die Vorschläge der großen Nachbarn polterte. Und doch: Die jüngsten Entwicklungen beim Kampf gegen Steuerflucht machen deutlich: Der Eindruck, es gebe ausschließlich Streit und Stillstand in Europas Finanzpolitik, ist falsch.Das gilt auch bei der Bewältigung der Staatsschuldenkrise. Ohne Frage, die Rettungsmanager bringen Euroland immer wieder dem Abgrund nahe – so wie zuletzt bei den Verhandlungen über Zypern. Aber auch im Jahr 4 der Rettungsschirme ist bislang der große Knall ausgeblieben, der schon so oft vorausgesagt wurde. Nun, da auch das Hilfspaket für Zypern politisch abgenickt ist, stehen die Chancen gut, dass die Rettungs-Schirmherren ein paar Wochenenden ohne Noteinsätze vor sich haben. Fragt man Euro-Diplomaten, wo sie absehbar mit Problemen rechnen, dann lautet die Antwort nicht Slowenien, obwohl das Land bei Nachrichtenagenturen ganz oben auf dem Wettzettel zu stehen scheint – sondern Griechenland. Hellas dürfte, so die Befürchtung, mittelfristig Probleme haben, seinen Teil der Abmachung zu erfüllen. Aber selbst dann werde das Land wohl im Euroraum gehalten.Bleibt als drittes großes Thema der EU-Finanzpolitik die Bankenunion. Auch hier vermittelt manche Schlagzeilen den Eindruck, als käme nichts voran – und auch hier gibt es gute Gründe, dieser Sicht der Dinge zu widersprechen. Gerade erst haben die EU-Finanzminister auf Drängen Deutschlands eine Erklärung beschlossen, die technisch klingt, aber hochpolitisch ist. Sie enthält zwei Festlegungen. Erstens: Alle “vereinbarten” Elemente der Bankenunion sollen zügig umgesetzt werden. Zweitens: Alle EU-Regierungen sind bereit, konstruktiv an einer Änderung des EU-Grundvertrags mitzuarbeiten, um die Bankenunion auf eine solidere Basis zu stellen. Es ist richtig, dass der Ruf nach einer Vertragsänderung wohl zu einer Verschiebung führt – allerdings weder für die Bankenaufsicht noch die Rekapitalisierung von Banken unter Rückgriff auf Euro-Töpfe, sondern für einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus. Denn der muss nach deutscher Lesart institutionell sauber verankert werden. Das ist eine nachvollziehbare Forderung, wenn man will, dass irgendwer auf EU-Ebene eines Tages tatsächlich die Abwicklung einer spanischen oder einer deutschen Bank gerichtsfest anordnen soll. Beschreibungen, die Bankenunion werde dadurch blockiert, sind deshalb einäugig. Na klar, wer sich im Süden Eurolands ein Vollkaskopaket wünscht, das ermöglicht, die Euro-Rettungstöpfe für pleitebedrohte Banken (Rekapitalisierung oder Abwicklung) und deren Kunden (Schutz ihrer Einlagen) großzügig anzuzapfen, dürfte mit der Erklärung hadern. Er hätte aber übersehen, dass diese Pläne ja gerade nicht zu den “vereinbarten” Elementen zählen – und wohl auch nie zählen werden. Selbst deutsche Sozialdemokraten sind gegen eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung. Und beim Einsatz des Euro-Schirms für Banken hat der Norden zumindest viel kleinere Dimensionen vor Augen als der Süden.Bei allen drei Themen zeigt sich somit, dass das Bild vom völlig zerstrittenen und paralysierten Europa nicht taugt. In Europas Finanzpolitik bewegt sich mehr, als oft behauptet wird. Das gilt für die Fiskalpolitik, wo sich Ergebnisse des Abbaus von Defiziten und Ungleichgewichten abzeichnen. Das gilt für die Finanzmarktregulierung, wo sogar bei Mammutprojekten wie CRD IV eine Einigung erzielt wurde. Und das zeigt sich dieser Tage vor allem beim Kampf gegen Steuerflucht. Selbst schier unüberwindbare Widerstände brechen. Viel ist derzeit von einem neuen “Momentum” die Rede. Der Begriff scheint nicht einmal übertrieben. Vieles spricht dafür, dass der Schwung so stark ist, dass Österreich schon im Mai einlenken wird – und die EU selbst bei dieser vermeintlich unendlichen Geschichte zum Abschluss kommt.——–Von Detlef Fechtner ——- Es zeigt sich, dass das Bild vom völlig zerstrittenen und paralysierten Europa nicht taugt. In Europas Finanzpolitik bewegt sich mehr, als oft behauptet wird.