Mehr Geld und Kompetenzen für Brüssel?
Serie: Countdown zur Europawahl (Teil 8)
Mehr Geld und Kompetenzen für Brüssel?
Die Parteiprogramme zeigen sehr konträre Vorstellungen über den künftigen EU-Haushalt, die Klima- und Handelspolitik
Nach der Europawahl stehen in Brüssel viele Grundsatzentscheidungen über die künftige Ausrichtung der EU-Politik an. Sie betreffen die Größe des Gemeinschaftshaushalts, den Green Deal oder auch die Wettbewerbs- und Handelspolitik. Es ist ein Ringen um Geld und Macht, aber auch eine Neubewertung heutiger Regulierung.
Zuletzt erschienen: Ein neues Kapitel in der Brüsseler Erweiterungspolitik (29./30.5.) Von Katar über Russland bis China (28.5.) Rätselraten über Europas Rechtsaußen (25.5.)
Die FDP hat im Wahlkampfendspurt noch einmal ein neues Thema entdeckt: Seit einigen Tagen plakatieren die Liberalen ihre Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann Auge in Auge mit ihrer CDU-Konkurrentin Ursula von der Leyen. „Sie haben die Wahl“, heißt es hier. Es gehe um „EU-Wachstum“ oder um „EU-Schulden“, wobei die Schulden natürlich der Kommissionspräsidentin zugeschrieben werden. Dazu verspricht Strack-Zimmermann in Interviews, dass es neue Gemeinschaftsschulden mit ihrer Partei nicht geben werde. Von der Leyens Offenheit für neue EU-Schulden sei „brandgefährlich“, warnt sie.
Bereits in ihrem – eher dünnen – Europawahlprogramm hatte die FDP vor einem „Einstieg in eine Schuldenunion“ gewarnt und zugleich Zurückhaltung bei neuen Einnahmequellen für den EU-Haushalt gefordert. Der ursprünglich 750 Mrd. Euro große Corona-Hilfsfonds mit dem Namen „NextGenerationEU“ soll in den nächsten Jahren wie geplant getilgt werden und eine Ausnahme in der EU-Geschichte bleiben.
Es geht hier grundsätzlich um die Debatte, welche Kompetenzen in Zukunft auf europäischer Ebene angesiedelt sein sollen und ob die EU-Institutionen für neue Investitionsprogramme, zur Unterstützung der grünen Transformation der Wirtschaft oder für neue geopolitische Aufgaben mehr Geld erhalten sollen. Die FDP-Haltung wird im Grundsatz unter anderem von CDU/CSU unterstützt. Andere Parteien sehen dies aber grundlegend anders.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Einigung auf „NextGenerationEU“ bereits als den europäischen „Hamilton-Moment“ bejubelt, man könnte sagen, als ersten Schritt zu einem europäischen Bundesstaat. Im SPD-Wahlprogramm wird mit Blick auf die Kriseninstrumente nun ein dauerhafter Integrationsfortschritt gefordert. Die Sozialdemokraten möchten insbesondere das milliardenschwere Kurzarbeitergeld-Programm SURE, das ebenfalls während der Coronakrise aufgesetzt wurde, in eine dauerhafte europäische Arbeitslosenrückversicherung weiterentwickeln.
Die Grünen sehen im Corona-Wiederaufbaufonds sogar ein Vorbild für eine effektive gemeinsame europäische Finanzierung von großen Investitionsvorhaben. Sie schlagen in ihrem Europawahlprogramm eine „Infrastrukturunion“ vor, die ab 2028 so finanziert werden könnte. Die Partei will zugleich den EU-Haushalt deutlich vergrößern, finanziert durch neue Eigenmittel. Andere werden noch deutlicher: Die Partei „Volt“, die schon bei der Europawahl 2019 ein Mandat erreicht hat und im aktuellen Wahlkampf mächtig Wirbel macht, will den nächsten mittelfristigen EU-Haushalt sogar verdreifachen. Auch Volt will eine dauerhafte Einbeziehung eines Aufbauprogramms in die künftigen Haushaltsverhandlungen – insbesondere zur Stärkung der strategischen Autonomie der EU.
Regulierung sorgt für Unbehagen
Während Volt das mit 147 Seiten mit Abstand umfangreichste Europaprogramm veröffentlicht hat, in dem viel Ehrgeiz zur Weiterentwicklung der EU zu erkennen ist (Titel: „Trau dich Europa“), setzen CDU/CSU eher auf das Thema Sicherheit („Für ein Europa, das schützt und nützt“). Dazu gehört auch eine Kehrtwende bei vielen Gesetzesvorhaben, an denen die Union in den vergangenen Jahren selbst mitgewirkt hatte. Unter dem Stichwort Überregulierung soll ein Belastungsstopp für die Wirtschaft ausgerufen werden. Das heißt: Taxonomie und Green Deal sollen noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden. Das Verbrennerverbot soll nach Ansicht von CDU/CSU ebenso wieder abgeschafft werden wie das neue Lieferkettengesetz und die neuen Whistleblower-Regeln.
Wenig überraschend schießt vornehmlich die AfD („Europa neu denken“) noch wesentlich schärfer gegen die bisherige Brüsseler Klimapolitik. Der Green Deal wird komplett abgelehnt. Und zum dazugehörenden Paket „Fit for 55" heißt es im Wahlprogramm der Rechtsaußenpartei, dieses sei eine „in Verordnungen und Richtlinien gegossene Dystopie eines ökosozialistischen Brüsseler Haftungs- und Umverteilungsstaates“. Ansonsten lehnt die AfD jede Form der CO₂-Bepreisung und jede Art von EU-Steuern ab, will den EU-Haushalt verkleinern und nationale Währungen wieder einführen.
EU-Handelspolitik steht im Fokus
Für äußerst kontroverse Vorstellungen sorgt auch die Handelspolitik der EU-Kommission. CDU/CSU fordern neue Freihandelsinitiativen. Neue Abkommen sollten vor allem mit den USA und Südamerika abgeschlossen werden, ohne sie aber mit „sachfremden Themen“ zu überfrachten, heißt es im Programm. Die FDP fordert sogar explizit einen neuen Anlauf für ein Freihandelsabkommen mit den USA, nennt für weitere, unterschiedlich umfangreiche Abkommen aber auch Taiwan, Israel sowie arabische und afrikanische Länder. Die Liberalen warnen ebenfalls vor einer „Überladung“ der Abkommen mit zusätzlichen Themen und Pflichten. Diese müssten vielmehr stärker nach geostrategischen Gesichtspunkten ausgerichtet werden.
Atomkraft polarisiert weiter
Dass Grüne und Sozialdemokraten dies etwas anders sehen, wird sehr schnell deutlich. Auch die SPD spricht von einer neuen Ausrichtung der europäischen Handelspolitik, betont aber: Abkommen, die allein den Abbau von Zöllen und die Liberalisierung von Märkten zum Ziel hätten, seien nicht mehr zeitgemäß. „Der neoliberale Traum, dass Handel automatisch zu Wohlstandsgewinnen für alle, politischem Wandel und mehr Sicherheit in der Welt führt, ist ausgeträumt.“
In der Energiepolitik wollen CDU/CSU nicht auf die Option Kernkraft verzichten. Sozialdemokraten und Grüne halten dies für falsch. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das bei der Europawahl erstmals überhaupt Mandate erringen könnte, ist dagegen hier – wie bei anderen Themen auch – nur schwer zuzuordnen. In der Energiepolitik will das BSW die Öl- und Gaslieferungen aus Russland wieder aufnehmen, den Emissionshandel abschaffen, aber auch eine EU-Wasserstoffwirtschaft aufbauen. Ansonsten soll das EU-Budget keine neuen Eigenmittel erhalten und die EU-Schuldenregeln abgeschafft werden.
Vieles in den EU-Programmen ist vorhersehbar. Aber wer genauer liest, findet immer wieder auch Ideen, die sich abheben: So will die FDP einen Konvent, der eine föderale Verfassung für die EU erarbeitet. Volt will, dass auch Lebensqualität und Wohlbefinden künftig bei der Messung des BIP berücksichtigt werden.