Eurostaaten lassen die Konsolidierung schleifen

Neue Defizitdaten zeigen aber günstigere Ausgangsbedinungen für den Währungsraum als noch vor Jahren

Eurostaaten lassen die Konsolidierung schleifen

Von Stephan Lorz, FrankfurtWenn man einmal von Griechenland, Spanien und Portugal absieht, liegen alle anderen Länder der Eurozone mit ihrer Defizitquote viel niedriger als etwa Großbritannien. Das zeigen die neuen Finanzdaten der europäischen Statistikbehörde Eurostat für das vergangene Jahr. Die Feststellung ist deshalb pikant, weil die Briten stärker wachsen als etwa Deutschland und die Eurozone – und dennoch nicht von ihren hohen Fehlbeträgen herunterkommen. Das spricht dem Kalkül hohn, dass man sich mit immer höheren Defiziten aus der fiskalischen Schieflage herauskaufen kann. Würde man umgekehrt die überzogenen Staatsausgaben aus dem Wachstum herausrechnen, würde schließlich auch das BIP-Plus längst nicht mehr so deutlich ausfallen wie im Moment. Klassenziel erreichtDas vielstimmige Lamento über die fiskalisch unrettbare Eurozone ist angesichts der Datenlage insofern überzogen. Denn auch die Defizitquote des gesamten Währungsraums kann sich sehen lassen mit 2,1 %. Das ist zwar vor allem soliden Staaten wie Deutschland zu verdanken, aber auch in anderen Währungsräumen ist die Solidität ähnlich ungleich verteilt wie in Europa. Gemessen an den eigenen Maßstäben des Stabilitätspakts hat die Eurozone also ihr Klassenziel erreicht.Das Problem, das in den neuen Daten zum Ausdruck kommt, liegt an einer anderen Stelle: Dem nachlassenden Konsolidierungs- und Reformwillen in den meisten Euro-Staaten, gepaart mit einer zunehmend laxen Haltung der EU-Kommission gegenüber den verbliebenen “Defizitsündern”. Zuletzt hatte das auch der Europäische Rechnungshof kritisiert. Während die Vorgaben etwa gegen Zypern streng durchgesetzt worden seien, habe Brüssel bei der Beurteilung von Italien und Frankreich das vom reformierten Stabilitätspakt gewährte hohe Maß an Flexibilität und Ermessen ausgiebig genutzt. Auf ein Verfahren gegen Italien wegen überhöhter Verschuldung und gegen Frankreich wegen erneuter Verfehlung der Vorgaben wurde ganz verzichtet, Paris sogar abermals eine Fristverlängerung gewährt.Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für das laufende Jahr im Hinblick auf Frankreich jetzt mit einem Minus von 3,3 % und auch für 2017 befindet es sich mit 3,2 % danach noch über der Drei-Prozent-Schwelle. Italien liegt zwar darunter (2015: 2,6 %), nun geht es aber offenbar wieder retour (IWF-Prognose 2016: 2,7 %). Auch Defizitsünder Spanien hat weiter Budgetprobleme. Der Negativsaldo sank 2015 zwar auf 5,1 % (2014: 5,8 %). Brüssel hatte allerdings mit 4,8 % gerechnet. Madrid hatte bereits am Dienstag angekündigt, das mit der EU vereinbarte Defizitziel auch in diesem Jahr weit zu verfehlen. Für Portugal wiesen die Eurostat-Zahlen einen Rückgang des Defizits auf 4,4 % nach 7,2 % im Jahr 2014 aus. Bereinigt um Einmalzahlungen für Hilfen an die portugiesischen Banken beläuft sich das Minus aber auf überraschend niedrige 2,8 %. Dem Land war aber auch bei dieser Berechnung eine noch stärkere Rückführung auf 2,5 % vorgegeben worden. Keine Bremswirkung mehrVor diesem Hintergrund kann von der vielfach vorgeworfenen “Austerität” keine Rede mehr sein: Die Konsolidierung fällt nur noch mager aus, weshalb es auch die beklagte konjunkturelle Bremswirkung nicht mehr gibt. Aber Raum für fiskalischen Spielraum, wie von manchen Ökonomen gefordert, haben diese Staaten trotzdem nicht, weil die Verschuldung noch weiter wächst. Zudem ist ein großer Teil der jetzt gefeierten Konsolidierungserfolge auf die geringe Zinslast zurückzuführen. Steigen die Zinsen einst wieder an, werden auch die Defizit- und Schuldenquoten wieder kräftig zulegen. Die gegenwärtig günstigen Quoten sind also zu einem großen Teil nur vorübergehender Natur.