Europa sucht seine Zukunft

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Das akute Rettungsmanagement verwandelt sich in eine wirtschaftspolitische Koordinierung auf Dauer - doch es mangelt an demokratischer Legitimation

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Von Detlef Fechtner, BrüsselJeder Ausblick startet mit dem Blick zurück. Darum auch hier zunächst die Frage, wie sich Euroland 2012 geschlagen hat. Man kann sagen: desaströs. Oder aber: vielversprechend. Desaströs, weil sich in Griechenland neue Finanzlöcher aufgetan haben. Weil auch Zypern taumelt. Weil Frankreich als Stütze der Rettungsarchitektur wegzubrechen droht. Und weil halb Europa in einer Rezession feststeckt. So weit, so schlecht.Zugleich gab es aber auch Vielversprechendes: Die Regierungen haben die Haushaltsdefizite spürbar heruntergefahren. Auch die Leistungsbilanzdefizite sinken, einige Krisenländer haben die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert. Mit freundlicher Unterstützung der Europäischen Zentralbank sind die Anleihespreads kurz vor Silvester wenigstens nicht mehr ganz so bedrohlich. Zudem hat die Politik es geschafft, sich über Schuldenbremsen und Bankenaufsicht zu verständigen. Und überhaupt: Euroland hat – entgegen manchen Wetten – 2012 überlebt.Aus dieser Rückbetrachtung ergeben sich zwei Schlussfolgerungen. Einerseits: Die Behauptung, die Währungsunion habe das Schlimmste hinter sich, ist so belastbar wie Kostenprognosen für den Stuttgarter Bahnhof. Andererseits: Weissagungen, es sei nur eine Frage von Monaten, bis die Währungsunion auseinanderbricht, sind allenfalls als Verschwörungstheorie tauglich. Kurz: Auch im Jahr 4 nach Lehman bleibt die Unsicherheit groß. Aber es gibt durchaus einige feste Größen.So ist sehr wahrscheinlich, dass die Euroland-Regierungen – sogar nach der Bundestagswahl – Griechenland weiter in der Eurozone zu halten versuchen, wenn nötig mit einer Politik des offenen Portemonnaies. Es mag Fürsprecher eines Austritts Griechenlands geben – aber sie sitzen nicht auf Regierungsbänken. Auch ist recht sicher, dass die Euro-Staaten mit den Anpassungsprogrammen fortfahren. Denn einen jähen Rückfall in haushaltspolitischen Schlendrian würden die Euro-Partner – und vor allem die Investoren – umgehend bestrafen. Ziemlich gewiss ist schließlich, dass das akute Krisenmanagement schrittweise in eine haushaltspolitische Dauerkontrolle überführt wird. Rettungsprogramme münden in Solidarfonds mit verbindlichen Vertragspartnerschaften, alle Euro-Staaten werden damit irgendwie zu “Programmländern”. Auch verschiebt sich der Fokus – weg von Defizitquoten, hin zu Reformen für Wettbewerbsfähigkeit.Das mag so klingen, als sei Euroland auf bestem Wege, Lehren aus der Krise zu ziehen, als stimmten die Konzepte, gelinge die Umsetzung und sei die Krisenbewältigung fast ein Selbstgänger. Das wäre freilich zu optimistisch. Denn die Rettungsmanager haben auf eine Frage noch keine Antwort gefunden – nach der demokratischen Legitimation. Bislang ist die wirtschaftspolitische Koordination und Kontrolle eine Veranstaltung der Exekutive. Dahinter steht die fragwürdige, aber wohl durchaus verbreitete Überzeugung, Anpassungsprogramme sollten am Reißbrett von Technokratenregierungen und Troikas gezimmert werden. Kein Wunder, dass sich Unmut bei Bürgern entwickelt, wenn sie ihre gewählten Vertreter nicht mehr verantwortlich machen können.Spielentscheidend für die Überwindung der Krise und die Behebung der Geburtsfehler des Euro wird 2013 daher sein, inwieweit es gelingt, die Parlamente – die nationalen und das europäische – in die wirtschaftspolitische Koordinierung in Euroland einzuweben. Sie dürfen nicht länger nachträgliche Ratifikationsmaschinen sein, sondern müssen – etwa bei den geplanten verbindlichen Reformverträgen – aktiv, frühzeitig und konkret eingebunden werden. Das Europäische Parlament wird sich neu erfinden müssen: Es muss beweisen, dass es nicht bloß aus überzeugten Europäern besteht, sondern aus unterschiedlichen Parteien. Überlegungen, den Chef der stärksten Fraktion zum EU-Kommissionschef zu machen, gehen in die richtige Richtung. Auch muss das Parlament Vorbehalte gegen eine parallele Formation als Euro-Parlament überdenken. Gelingt es, dieses Defizit an demokratischer Kontrolle zu beheben und damit eine alte europäische Vision zumindest für die Staaten der Währungsunion zu verwirklichen, wird Euroland auch mit Defiziten im Haushalt und in der Leistungsbilanz zurechtkommen.