Evakuierungen angelaufen – Deutschland stoppt Hilfszahlungen
ahe Brüssel
Nach Beratungen der Außenminister der EU-Staaten hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Gespräche mit den Taliban angekündigt. Eine Zusammenarbeit mit einer künftigen afghanischen Regierung wird Borrell zufolge aber von einer friedlichen und inklusiven Einigung sowie Respekt für Grundrechte – zum Beispiel von Frauen und Jugendlichen – abhängen. Die Taliban hätten den Krieg gewonnen, also werde man mit ihnen reden müssen. Die Bundesregierung stoppt alle Hilfszahlungen an das Land.
Unterdessen hat die Bundeswehr mit der Rettung von Deutschen und Afghanen aus Kabul begonnen. Geplant war, circa 300 Menschen mit einer Transportmaschine zunächst in die usbekische Hauptstadt Taschkent zu bringen. Die Evakuierungsaktion sei jetzt „voll angelaufen“, sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) in Berlin. Seinen Angaben zufolge gestaltet sich diese allerdings schwierig, da die Taliban irgendwann nur noch Ausländer zum Flughafen ließen, nicht aber Afghanen.
Das Bundeskabinett will am Mittwoch ein neues Mandat für einen befristeten Bundeswehreinsatz beschließen, der übereinstimmenden Agenturberichten zufolge die Entsendung von bis zu 600 Soldaten erlauben würde. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, man versuche Kontakt zu den rund 1000 Ortskräften im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit herzustellen, die aber teilweise nicht in Kabul seien. Dazu kämen die Helfer von Nichtregierungsorganisationen.
EU größter Spender
Merkel kündigte an, dass Deutschland die Hilfszahlungen für Afghanistan stoppen wird. „Unter den jetzt gegebenen Umständen (…) können wir keine Entwicklungshilfe machen.“ Zugesagt waren eigentlich für das laufende Jahr 250 Mill. Euro, von denen allerdings noch nichts ausgezahlt worden ist. Einschließlich humanitärer Hilfe oder auch der Mittel für die Polizeiausbildung im Land waren für Afghanistan sogar insgesamt rund 430 Mill. Euro eingeplant gewesen. Laut Außenminister Maas haben auch andere Staaten solche Zahlungen gestoppt. „Es gilt zu überprüfen, wo man humanitär helfen kann“, sagte er.
Der EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, kündigte unterdessen an, dass die EU Afghanistan weiterhin mit Hilfen unterstützen werde. Die Union sei bereits der größte globale Spender für Afghanistan und werde auch künftig Menschen in Not helfen, schrieb er. Die Hilfe beruhe auf den Prinzipien der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Neutralität.
Der EU-Außenbeauftragte Borrell kündigt zudem Hilfen für Afghanistans Nachbarstaaten an, um die Folgen der zunehmenden Flüchtlings- und Migrantenzahlen abzumindern. In Berlin zeigte sich Kanzlerin Merkel zurückhaltend in Bezug auf Forderungen, Deutschland solle Flüchtlingskontingente aufnehmen: „Bevor man über Kontingente spricht, muss man erst mal über sichere Möglichkeiten für Flüchtlinge in der Nachbarschaft von Afghanistan reden“, betonte sie. Dann könne man in einem zweiten Schritt darüber nachdenken, ob besonders betroffene Personen kontrolliert und auch unterstützt nach Europa kommen sollten. Merkel telefonierte dazu auch mit UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi. Außerdem beriet sie die Lage in Afghanistan mit Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron und mit den Regierungschefs von Großbritannien und Italien, Boris Johnson und Mario Draghi. Sie vereinbarten eine enge Zusammenarbeit bei der Evakuierung. Merkel räumte das Scheitern des Westens bei dem Versuch ein, in Afghanistan ein nachhaltiges politisches System mit mehr Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten aufzubauen.
Die EU-Kommission hielt sich am Dienstag bedeckt bezüglich einer möglichen neuen Fluchtwelle nach Europa. Der Auswärtige Ausschuss des Europaparlaments will am Donnerstag zu einer außerordentlichen Sitzung zu Afghanistan zusammenkommen, wie sein Vorsitzender David McAllister (CDU) auf Twitter ankündigte.