Exit-Debatte der EZB nimmt Fahrt auf

Coeuré: Zu späte Signale beim Ausstieg bergen Risiken von Turbulenzen - Kommunikation im Fokus

Exit-Debatte der EZB nimmt Fahrt auf

Die Wirtschaftserholung im Euroraum festigt sich, die Inflation hat angezogen. Vor der wichtigen Zinssitzung der EZB Anfang Juni richtet sich der Fokus zunehmend auf den weiteren Kurs.ms Frankfurt – Die Debatte über eine mögliche geldpolitische Wende der Europäischen Zentralbank (EZB) nimmt immer mehr an Fahrt auf – wobei die Euro-Währungshüter zunehmend auf offener Bühne miteinander ringen und dabei teils widersprüchliche Signale über das Tempo und die Art eines künftigen Ausstiegs aus der ultralockeren Geldpolitik geben. Damit steigt die Spannung vor der nächsten geldpolitischen Sitzung am 8. Juni in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Zinserhöhung und QE-EndeFür viel Aufmerksamkeit sorgte gestern EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters warnte er nicht nur vor Risiken für den Fall, dass die EZB zu spät und zu zögerlich Signale gibt, falls sich der Exit abzeichnet. Das berge die Gefahr “größerer Marktanpassungen, wenn die Entscheidung letztlich getroffen wird”. Zugleich sagte er, dass die EZB prinzipiell falls nötig die Zinsen erhöhen könne, bevor das Anleihekaufprogramm (Quantitative Easing, QE) beendet sei – auch wenn er das für wenig wahrscheinlich hält.In den vergangenen Tagen hatte dagegen EZB-Chefvolkswirt Peter Praet vor einem abrupten Kurswechsel gewarnt und genau wie auch EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio argumentiert, dass die EZB im aktuellen Umfeld lieber zu spät als zu früh den Ausstieg wagen sollte (vgl. BZ vom 12. Mai). Coeuré nannte solche Überlegungen gestern mit Blick auf die Kommunikation “wenig überzeugend”. EZB-Präsident Mario Draghi hatte sich zudem zuletzt alle Mühe gegeben, keine Zweifel an der bisherigen Kommunikation der EZB aufkommen zu lassen, nach der die Zinsen erst lange nach dem Ende von QE angehoben werden könnten. Coeuré sagte gestern, das sei “nicht in Stein gemeißelt”. Bereits zum Jahreswechsel hatte er im Interview der Börsen-Zeitung gesagt, die Forward Guidance der EZB, also der Ausblick für Zinsen und QE, sei “keine Festlegung” (vgl. BZ vom 31.12.2016).Unterschiedliche Signale kamen gestern auch aus den nationalen Zentralbanken. So wiederholte Bundesbankpräsident Jens Weidmann seine Position, dass die EZB die geldpolitische Normalisierung in den Blick nehmen müsse, wenn sich die wirtschaftliche Lage und damit auch der Preisausblick festige. Der litauische Notenbankchef Vitas Vasiliauskas plädierte dafür, dass die EZB ihren Zinsausblick auf den Prüfstand stellt: “Falls harte Daten die verbesserte Situation bestätigen sollten, wäre es ein logischer Schritt, über die im Zinsausblick beschriebene geldpolitische Lockerungstendenz zu sprechen.” Dagegen erklärte sein slowenischer Amtskollege Bostjan Jazbec, die EZB sei aus Furcht noch nicht bereit, ein Signal für einen Ausstieg zu senden. “Ich würde sagen, es ist zu früh, um irgendetwas über Änderungen zu sagen”, so Jazbec.In dem gestern veröffentlichten Protokoll der EZB-Ratssitzung von Ende April hieß es: “Mit zunehmend selbsttragender Annäherung der Teuerungsrate an das Inflationsziel des EZB-Rats werde auch eine umfassendere Diskussion über die Ausgestaltung einer angemessenen Strategie für die Normalisierung der Geldpolitik erforderlich.” Zugleich hieß es aber, dass die Währungshüter bei der Änderung ihrer Kommunikation große Vorsicht für geboten hielten. Bereits Nuancen könnten Signaleffekte haben, die womöglich als eine Veränderung der geldpolitischen Haltung interpretiert würden. Daher sollten solche Schritte nur “sehr langsam und vorsichtig” erfolgen.Bei der Sitzung am 8. Juni könnte die EZB nun womöglich die Risiken für das Wachstum als “ausgeglichen” bezeichnen, während sie derzeit noch die Abwärtsrisiken dominieren sieht. Das Protokoll der April-Sitzung bestätigte Aussagen von EZB-Präsident Draghi unmittelbar nach dem Treffen, dass einige Notenbanker bereits im April die Risiken für ausgeglichen ansahen. Diese Woche war bekannt geworden, dass die Euro-Wirtschaft im ersten Quartal um solide 0,5 % gewachsen ist.Die Frage ist aber, ob der EZB-Rat dann auch gleich seine Bereitschaft fallen lässt, die Zinsen weiter zu senken oder QE aufzustocken (“Easing Bias”). Coeuré wollte sich dazu in dem Interview nicht äußern. Draghi hatte nach der Zinssitzung im April auffallend stark unterschieden zwischen Wachstums- und Inflationsausblick und betont, dass für die Geldpolitik die Inflation entscheidend sei (vgl. BZ vom 28. April). Bislang habe sich das anziehende Wachstum nicht in den Preisen niedergeschlagen. Die Inflation war im April auf 1,9 % geklettert – die EZB strebt knapp unter 2 % an. Aber der EZB-Rat rechnet für die nächsten Monate nur mit Werten um 1,5 %. Weichenstellungen vorausFür den Herbst, womöglich im September, wenn es auch neue Projektionen der EZB-Volkswirte gibt, hat eine Reihe von EZB-Granden schließlich wichtige Weichenstellungen für 2018 in Aussicht gestellt. Entscheidend wird dann sein, wie sich nicht zuletzt die Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) entwickelt hat. Ein abruptes Ende von QE hat die EZB bereits ausgeschlossen. Die Frage ist eher, ob und wenn ja wie sie die Käufe von aktuell 60 Mrd. Euro monatlich zurückfährt.