Experimentieren, quizzen und diskutieren

Von Stefan Reccius, Frankfurt Börsen-Zeitung, 27.10.2020 Triumphierend hält Astrid Lipfert ein Plakat in die Höhe, auf dem die Zahl 141 steht: So viele Menschen sind am Montagnachmittag per Livestream zugeschaltet, als die Kommunikationsexpertin...

Experimentieren, quizzen und diskutieren

Von Stefan Reccius, FrankfurtTriumphierend hält Astrid Lipfert ein Plakat in die Höhe, auf dem die Zahl 141 steht: So viele Menschen sind am Montagnachmittag per Livestream zugeschaltet, als die Kommunikationsexpertin der Bundesbank – Headset mit Mikrofonbügel auf dem Kopf, die Augen voll ansteckender Begeisterung in die Kamera gerichtet – die Teilnehmer einer Veranstaltungswoche begrüßt, die “Premiere und Experiment” zugleich ist, wie Lipfert sagt. Bis Freitag werden “junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren, die sich alle für die geldpolitische Strategie interessieren”, ebenjene Strategie der Europäischen Zentralbank (EZB) analysieren, diskutieren – und im idealen Fall beeinflussen. Über ganz Europa verstreut sitzen sie vor ihren Rechnern, von Kiel bis Freiburg, von Stockholm bis Zürich, von London bis Madrid.Ein Novum ist dieses Format für die Bundesbank nicht nur, weil die “Euro20+”-Woche samt abschließendem Townhall-Meeting mit Bundesbankchef Jens Weidmann als Highlight am kommenden Freitagnachmittag vollständig in den digitalen Raum verlegt werden musste. Auch inhaltlich begeben sich die EZB und die 19 nationalen Notenbanken des Eurosystems im Rahmen ihrer groß angelegten Strategieüberprüfung auf ungewohntes Terrain.Andreas Worms, als Emissär der Bundesbank im geldpolitischen Komitee der EZB federführend an der Strategiedebatte beteiligt, macht das in seiner Einleitung klar: “Als wir 2003 zuletzt unsere Strategie diskutiert haben, war der Austausch mit der Öffentlichkeit nicht sehr intensiv”, erzählt Worms, lässig in einen dunklen Pullover gekleidet, den Teilnehmern. Seitdem hätten die EZB und andere Notenbanken “deutlich mehr Verantwortung übernommen” und ihr Mandat in etlichen Krisen “sehr gedehnt”. Daher sei es an der Zeit, dass die EZB nicht mehr nur Rechenschaft über ihre praktische Geldpolitik ablege, sondern alle Teile der Gesellschaft stärker in ihre grundsätzliche strategische Ausrichtung einbinde: “Für uns ist wichtig zu sehen, was die Bevölkerung unter unserem Auftrag versteht”. Ziel sei, die “Review” bis zum Sommer abzuschließen, sagt Worms und kündigt an: “Ich hoffe, wir können im September Resultate verkünden.”Worms selbst ist am Mittwoch an der Reihe. Dann leitet er einen Austausch zum Thema Finanzstabilität. Auf insgesamt sechs anderthalbstündige Workshops hat die Bundesbank die 141 Teilnehmer aufgeteilt. Es geht um die Auswirkungen der Globalisierung auf Ziele, Preise, Instrumente und Transmissionskanäle der Geldpolitik, um Definition und Messung von Preisstabilität, das Kernmandat der EZB, um die Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeitsmärkte und Inflation, um das Verständlichmachen der oft kryptischen und bisweilen selbst zugeneigten Laien unverständlichen Artikulation von Geldpolitik. Und, natürlich, um das Thema Klimawandel. “Zentralbanken als Klima-Influencer?”, fragt die Bundesbank die Teilnehmer. “Aber ich bin mir gar nicht sicher, ob wir da ein Frage- oder Ausrufezeichen setzen müssen”, stellt Nina Adam, Redenschreiberin im Bereich Märkte, in den virtuellen Raum. “Das wollen wir mit euch diskutieren.”Der Tag des Kennenlernens klingt mit einem Quiz aus. Welches berühmte Zitat von Ex-EZB-Chef Mario Draghi stammt, ist eine der leichteren Übungen. “Whatever it takes” – auch die Bundesbank, so der erste Eindruck, lässt in ungewöhnlichen Zeiten nichts unversucht.——Nach der EZB sucht die Bundesbank auf ihre Art den Austausch mit der jungen Generation.——