Export ist Hypothek statt Notausgang

Deutschlands Geschäftsmodell doppelt unter Druck

Export ist Hypothek statt Notausgang

Von Stefan Reccius, FrankfurtUnter Konjunkturexperten wächst die Skepsis, wie schnell sich die deutsche Wirtschaft vom Coronaschock erholen wird. Maßgeblich dafür ist nicht nur, in welchem Tempo Fabriken wieder hochfahren, Restaurants und Läden öffnen und der Konsum anspringt. Wichtige Faktoren sind auch jenseits der Landesgrenzen zu finden. Weltweit hemmt die Pandemie die Investitionstätigkeit, im Exportgeschäft mit den wichtigsten Absatzmärkten sind deutlich zweistellige Rückgänge zu erwarten, und Unternehmen müssen auf fortdauernde Störungen in den Lieferketten gefasst sein. Hinzu kommt, dass China als Wachstumsmotor an Bedeutung verliert, weil das Land in immer geringerem Maße Vorleistungen aus dem Ausland bezieht. “Aus der Krise exportieren wird nicht funktionieren wie vor zehn Jahren”, sagt Gabriel Felbermayr, Chef des Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Statt zum Notausgang aus der tiefsten Rezession der Nachkriegszeit wird das Exportgeschäft zur zusätzlichen Hypothek.Der weltweite Warenverkehr dürfte in diesem Jahr laut einer am Freitag veröffentlichten Schätzung der EU-Kommission zwischen 10 und 16 % einbrechen. Die Welthandelsorganisation (WTO) ist noch pessimistischer. Die Allianz-Tochter Euler Hermes rechnet mit Einbußen von 239 Mrd. Dollar für die deutsche Exportwirtschaft. Einige der wichtigsten Zielländer trifft es besonders. Deutsche-Bank-Ökonom Jochen Möbert erwartet, dass die Ausfuhren in den Euroraum um 25 % schrumpfen werden und erst gegen Jahresende auf das Niveau von März zurückkehren. In die Eurozone gingen zuletzt 37 % der deutschen Exporte, europaweit waren es 68 %. Im wichtigsten Abnehmerland USA befürchtet der Industrieverband DIHK einen Nachfragekollaps von fast 20 %.Umgekehrt hat kein Land so stark zum Wachstum der grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten seit 1990 beigetragen wie Deutschland. Das zeigen Daten der Weltbank. Aus Felbermayrs Sicht die Basis für das Wachstum der deutschen Industrie seit der Wiedervereinigung: Indem sie Produktionsprozesse auslagerte, blieb sie wettbewerbsfähig und hielt Wertschöpfung im Land. Dabei ist auch auf der Importseite die Abhängigkeit von den europäischen Nachbarn enorm, wie eine Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt. Zwei Drittel aller importierten Vorprodukte im Wert von rund 600 Mrd. Euro kommen aus Mitgliedsländern der EU. Schreckensszenario “Italexit”DIHK und andere Verbände nehmen die Bundesregierung deshalb in die Pflicht, für eine rasche Rückkehr zum freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräften einzutreten. Regierungen im gesamten Schengenraum hatten im Zuge der Krise ihre Grenzen geschlossen. Das hat auch den Warenverkehr teils massiv behindert. Einige kehren nur zögerlich zur Freizügigkeit für EU-Bürger zurück oder halten Grenzen dicht. Auch für Felbermayr hat oberste Priorität, den europäischen Binnenmarkt zu stärken. “Einen Italexit können wir uns nicht leisten”, sagt er mit Blick auf einen immer wieder diskutierten Ausstieg Italiens aus der Europäischen Union. Der EU-Binnenmarkt müsse stabiler werden.Außerdem gelte es, die Nachfrage im Inland und damit die Binnenkonjunktur zu stärken. Den Anlass sieht der IfW-Chef nicht in der Pandemie, sondern im Trumpschen Protektionismus. Die Zeiten üppiger Außenhandelsüberschüsse als zuverlässige Treiber der Wirtschaftsleistung gingen unweigerlich zu Ende. “Dieses Geschäftsmodell werden wir nicht fortsetzen können”, sagt Felbermayr.