Geldpolitik

EZB drosselt Zinstempo, kündigt aber mindestens eine weitere Zinserhöhung an

Die Europäische Zentralbank (EZB) strafft ihre Geldpolitik weiter – drosselt aber das Tempo. Die letzte Zinserhöhung im laufenden Zyklus dürfte es aber nicht gewesen sein.

EZB drosselt Zinstempo, kündigt aber mindestens eine weitere Zinserhöhung an

EZB drosselt Zinstempo, kündigt aber mindestens eine weitere Zinserhöhung an

Angesichts der weiter hohen und hartnäckigen Inflation im Euroraum hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen erneut angehoben – aber nicht mehr so stark wie zuletzt. Die Euro-Notenbanker erhöhten ihre Leitzinsen am Donnerstag um 25 Basispunkte – nach zuletzt dreimal in Folge 50 Basispunkten und sogar 75 Basispunkte davor. Der Hauptrefinanzierungssatz liegt damit nun bei 3,75%, der aktuell noch wichtigere Einlagensatz bei 3,25%. Die Leitzinsen befinden sich damit auf dem höchsten Niveau seit Herbst 2008, als die EZB ihre Leitzinsen wegen der Weltfinanzkrise deutlich herunterzuschrauben begonnen hatte. Das Ende des Zinszyklus ist mit der Erhöhung noch nicht erreicht, wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde klarstellte.

Damit summieren sich die Zinserhöhungen seit Juli vergangenen Jahres auf insgesamt 375 Basispunkte. Eine solch aggressive Straffung hat es seit der Euro-Einführung im Jahr 1999 nicht gegeben. Hintergrund ist die viel zu hohe Inflation, die im Oktober 2022 ein absolutes Rekordhoch von 10,6% erreicht hatte. Seitdem ist sie stark rückläufig, mit zuletzt 7,0% im April liegt sie aber immer noch deutlich oberhalb des mittelfristigen EZB-Ziels von 2,0%. Zudem ist vor allem der zugrundeliegende Preisdruck hartnäckig; im April lag die Kernrate (ohne Energie und Lebensmittel) bei 5,6%. Zugleich wächst aber die Sorge, dass die EZB überzieht und die Wirtschaft sowie das Finanzsystem überfordert. Am Mittwochabend hatte die US-Notenbank Fed ihren Leitzins erneut auf nun 5,0 bis 5,25% angehoben, zugleich aber eine Zinspause signalisiert.

„Die zukünftigen Beschlüsse des EZB-Rats werden dafür sorgen, dass die Leitzinsen auf ein ausreichend restriktives Niveau gebracht werden, um eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen 2%-Ziel zu erreichen“, sagte Lagarde auf der Pressekonferenz im Anschluss an den Zinsentscheid. Man habe das Ende des Zinszyklus noch nicht erreicht. „Wir wissen, dass wir noch einen Weg zu gehen haben”, sagte Lagarde. „Es ist ganz klar, dass wir keine Pause machen werden.” Außerdem forderte sie die Regierungen der Eurozone auf, die geldpolitischen Beschlüsse der EZB mit einer restriktiveren Fiskalpolitik zu unterstützen.

„Tauben“ setzen sich durch

Vor der EZB-Sitzung hatte eine erneute Zinserhöhung quasi als ausgemacht Sache gegolten. Unklar war aber die Höhe. Während die meisten Beobachter mit 25 Basispunkten gerechnet hatten, hatten andere durchaus auch 50 Basispunkte auf der Rechnung. Diese Option hatten auch einige Euro-Notenbanker selbst explizit auf dem Tisch gelassen. Die Hardliner („Falken“) im EZB-Rat argumentieren vor allem mit der weiter sehr hohen Inflation und dem hartnäckigen zugrundeliegenden Preisdruck. Die „Tauben“, also die Verfechter einer eher lockeren Geldpolitik, dagegen sorgen sich wegen der schwächelnden Wirtschaft, den jüngsten Bankenturbulenzen und der Tatsache, dass sich die volle Wirkung der jüngsten beispiellosen Zinsstraffung erst noch entfalten wird. Im ersten Quartal war die Euro-Wirtschaft laut erster Schätzung um 0,1% gewachsen.

Vor der Sitzung hatten viele Beobachter und Marktteilnehmer spekuliert, dass die Zinsen insgesamt noch um 75 Basispunkte angehoben werden könnte, dass der Einlagensatz also bei 3,75% seinen Höhepunkt in diesem Zinszyklus erreicht. „Im Euroraum gibt es noch einen oder zwei weitere Schritte, dann ist erstmal Pause“, prognostiziert Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, nach dem Entscheid. „Ob dies nur ein vorübergehender Absatz ist, von dem aus es mit den Zinsen weiter nach oben geht, wird sich erst gegen Jahresende zeigen. Dann ist es besser einschätzbar, ob das Zinsmedikament gegen die hohe Inflation anschlägt“.

Bilanzabbau im Fokus

Neben der Zinspolitik war zuletzt auch wieder verstärkt das Thema EZB-Bilanz und Abbau des enormen Anleihebestands in den Fokus gerückt. Seit März und noch bis Juni reduziert das Eurosystem seinen Anleihebestand von aktuell rund 5 Bill. Euro um 15 Mrd. Euro pro Monat. Mitte April hatte EZB-Ratsmitglied Robert Holzmann im Interview der Börsen-Zeitung von einer allgemeinen Neigung im EZB-Rat zu einer schnelleren Gangart gesprochen (vgl. BZ vom 13. April). Er stellte die Option in den Raum, ab Juli die Reinvestitionen im Zuge des Anleihekaufprogramms APP ganz einzustellen. Das würde das monatliche Abbauvolumen von 15 Mrd. Euro auf rund 26 Mrd. Euro erhöhen, sagte er. Zu diesem Schritt scheint sich nun auch die EZB entschlossen zu haben. Wie die Zentralbank mitteilte, gehe man aktuell davon aus, die Reinvestitionen in APP ab Juli einzustellen.

Einige Beobachter spekulierten zudem darauf, dass die EZB im Sommer eine neue Liquiditätshilfe auflegen könnte – als „Brücke“ vor der anstehenden Rückzahlung großer Liquiditätshilfen aus der Krisenzeit (TLTROs). In wenigen Wochen werden rund 500 Mrd. Euro aus den sogenannten gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäften fällig.

Das ist die bislang größte Rückzahlung dieser Art. Etwa ein Drittel dieser Kredite – die ursprünglich zu Zinsen unter null vergeben wurden – haben italienischen Banken genommen. Diese Institute verfügen laut den Strategen der Société Générale jedoch nicht über ausreichende Überschussreserven, um die Rückzahlungen leisten zu können. Die EZB äußerte sich jedoch nicht zu einer möglichen Brückenfinanzierung.

Einige Händler gehen daher davon aus, dass die TLTRO-Rückzahlung die Finanzierungskosten am italienischen Bondmarkt in die Höhe treiben dürfte. Zur Abfederung der diesbezüglichen Belastungen könnte die EZB einen Überbrückungskredit auf den Weg bringen, zumal sich das Kreditumfeld in der Region in den letzten Monaten bereits stärker verschärft hat als erwartet.

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