EZB-Guidance: Wie lange ist länger?

Wirtschaftsweiser Wieland prognostiziert erste Zinserhöhung früher als viele Marktteilnehmer erwarten

EZB-Guidance: Wie lange ist länger?

Von Mark Schrörs, FrankfurtVorausgesetzt es gibt keine große Überraschung, wird EZB-Präsident Mario Draghi auch nach der heutigen Zinssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) wieder verkünden: Die Leitzinsen im Euroraum bleiben nach aktueller Einschätzung der Lage noch “für längere Zeit” auf dem aktuellen Rekordtief oder einem gar noch niedrigeren Niveau – weil die Inflation absehbar gedämpft bleibt. Was “für längere Zeit” bedeutet, darüber hüllt sich die EZB aber in eisernes Schweigen? Anfang August sagte Draghi, es gebe “keine präzise Deadline”. Tatsächlich aber könne man sich aus den gegebenen Informationen eine Reaktionsfunktion ziehen und selbst schätzen, was “länger” vernünftigerweise bedeutet.Genau das hat jetzt Volker Wieland gemacht, Geldpolitik-Experte am Institute for Monetary and Financial Stability der Goethe-Universität und einer von fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung. Und siehe da: Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Leitzinsen viel früher steigen könnten, als es viele Marktteilnehmer erwarten und auch Draghi selbst signalisiert hat: “Nach unserer Betrachtung sollten die Leitzinsen spätestens im Mai 2014 wieder steigen, vielleicht früher”, sagte Wieland gestern der Börsen-Zeitung.Basierend auf Forward Rates des Geldmarktzinses Eonia erwarten Marktteilnehmer eine erste Leitzinserhöhung derzeit erst im März 2015, wie die BayernLB in einem aktuellen Research dargelegt hat. Anfang August hatte Draghi sogar explizit gesagt, dass die damals eingepreisten Zinserhöhungen aus Sicht der EZB “unangemessen” waren. Damals war der Schritt laut BayernLB aber sogar erst für Mai 2015 erwartet worden.In einem Papier, das Wieland nun mit Doktorand Tilman Bletzinger verfasst hat, greift er auf eine Reaktionsfunktion bzw. Zinsregel für die EZB zurück, die er mit Ex-EZB-Ratsmitglied Athanasios Orphanides entwickelt hat und die er füttert mit den Prognosen für Wachstum und Inflation, die die Experten beim vierteljährlichen Survey of Professional Forecasters (SPF) der EZB im August abgegeben haben. Für die Vergangenheit erkläre die Herangehensweise den tatsächlichen Zinskurs gut, so Wieland.Für die Zukunft kommt er so nun zum Ergebnis, dass bereits im ersten Quartal 2014, spätestens aber im zweiten Vierteljahr ein höherer Leitzins als die aktuell 0,5 % angezeigt ist. Der Unterschied ergibt sich daraus, dass einmal unterstellt ist, dass die EZB mittelfristig 2 % Inflation anstrebt, und einmal von 1,5 % ausgegangen wird. Die EZB hat als Ziel knapp unter 2 % definiert – was das genau heißt, ist aber offen. Das 2-Prozent-Ziel unterstellt, wäre im ersten Quartal 2014 ein Zins von 0,53 % angezeigt. Im zweiten Quartal kommt Wieland auf 0,61 %. Beim 1,5-ProzentZiel wären es gar 0,78 % und 0,86 %. Solche Ergebnisse könnten die Spekulationen an den Märkten anheizen.Alternativ hat Wieland die Regel auch mit den Projektionen der EZB-Volkswirte von Anfang Juni gespeist. Heraus käme eine längere Phase niedriger Zinsen – weil die Ökonomen skeptischer fürs Wachstum sind und weniger Inflation erwarten. Aber diese Herangehensweise bilde für die Vergangenheit den EZB-Kurs weniger gut ab als jene mit den SPF-Schätzungen, so Wieland.Tatsächlich hat Draghi Anfang August stark mit den Projektionen argumentiert, um den Zinsausblick zu begründen. “Wenn der EZB-Rat nach den Projektionen handeln würde, müsste der Satz aktuell aber auch bei 0 % liegen”, sagte Wieland.”Ein längeres Festhalten an den aktuellen Zinsen könnte sich auch daraus ergeben, dass die EZB das Potenzialwachstum höher und damit die aktuelle Produktionslücke größer einschätzt”, sagte Wieland. Er hat die Schätzungen der EU-Kommission zugrunde gelegt, die die Potenzialrate in der Krise deutlich niedriger ansetzt als zuvor. Diesen Maßstab hat Wieland aber auch in der historischen Betrachtung angesetzt.Aber kann es nicht auch sein, dass die EZB diesmal länger an den niedrigen Zinsen festhalten will, um nach der langen Rezession auch ja kein Risiko einzugehen, den gerade beginnenden Aufschwung abzuwürgen? “Das könnte natürlich sein”, sagte Wieland. “Allerdings haben EZB-Vertreter klargemacht, dass es auch mit der Forward Guidance eben um keine Änderung ihrer Strategie gehen soll.” Deswegen ließe sich aus der Vergangenheit Lehren ziehen. Und die heißen eben: Die Zinsen könnten schon Anfang 2014 steigen.