EZB lenkt Enteignungs-Debatte in andere Richtung
jw Frankfurt – Immer wieder muss sich die Europäische Zentralbank (EZB) der Kritik stellen, ihre Niedrigzinspolitik enteigne die deutschen Sparer und finanziere stattdessen die hohe Staatsverschuldung in Italien. In einem neuen Aufsatz wehrt sich die Notenbank gegen die Kritik und stellt fest: Niedrigzinsen belasten Deutsche spürbar weniger als beispielsweise Italiener. Dieser Hinweis ist in der Debatte deshalb von Bedeutung, weil es bislang vor allem Stimmen aus Deutschland sind, die der Euro-Notenbank die Enteignung der Bürger vorwerfen. Die niedrigen Leitzinsen der EZB belasteten die Nettozinseinkommen italienischer Haushalte stärker als die deutscher Haushalte, schreiben die Experten im aktuellen Wirtschaftsbericht der Notenbank. Das liege vor allem daran, dass die Italiener den Zahlen der Notenbank zufolge weniger stark verschuldet sind als die Deutschen (siehe Grafik), weshalb sie weniger von gesunkenen Kreditzinsen profitieren und dort keine Entlastung spüren. Zugleich halten die Italiener jedoch mehr zinstragende Vermögenswerte als die Deutschen – sie leiden also stärker als die Bundesbürger unter Zinsen nahe der Nullmarke. Laut EZB sanken die an den verfügbaren Einkommen gemessenen Zinseinkommen der italienischen Haushalte zwischen 2008 und 2017 um 6 Prozentpunkte, während die Kreditzinsen lediglich um 2 Prozentpunkte abnahmen. In Deutschland ist das Nettozinseinkommen der Haushalte hingegen stabil bei rund 3 Prozentpunkten geblieben (siehe Grafik). Hier wurden die niedrigeren Zinseinkünfte der Deutschen aus Anleihen und Bankguthaben in den Jahren 2008 bis 2017 nahezu vollständig von niedrigeren Kreditzinsen ausgeglichen. Gleiches gilt für das Nachbarland Frankreich und die Eurozone insgesamt. Spanier profitieren sogarDas Fazit der EZB für das Euro-Währungsgebiet im Ganzen lautet daher: “Das Nettozinseinkommen des durchschnittlichen Haushalts in der Eurozone ist kaum beeinträchtigt worden.” In Spanien haben die Bürger unterm Strich sogar insofern profitiert, als ihre Zinsbelastungen als Schuldner deutlich stärker gesunken sind als ihre Einbußen als Sparer. Das hänge unter anderem damit zusammen, dass Baufinanzierungen in Spanien stärker an die Zinsentwicklung angepasst werden als in einer Festzinskultur wie etwa hierzulande. Die Euro-Notenbanker weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine flexible Verzinsung von Hypothekarkrediten ein wichtiges Element mit Blick auf die Transformation geldpolitischer Entscheidungen sei – quasi eine indirekte kritische Bemerkung gegenüber der deutschen Praxis.Schon lange wird die Nullzinspolitik der EZB insbesondere von Sparkassen und Genossenschaftsbanken in Deutschland als “schleichende Enteignung” der Sparer kritisiert. Bisherige Versuche der EZB, darauf hinzuweisen, dass die Auswirkungen auf viele Bürger neutral seien, weil neben den Spar- eben auch die Kreditzinsen zu berücksichtigen seien, ließen diese Kritik nicht verstummen. Vielmehr gibt es erhebliche Vorbehalte gegen die Berechnungsmethode – etwa in der Frage, inwieweit die EZB Lebensversicherungen dabei angemessen berücksichtigt.