GASTBEITRAG

EZB-Niedrigzinspolitik enteignet die Sparer

Börsen-Zeitung, 7.6.2013 Laut Berechnungen der DekaBank und des Instituts der Deutschen Wirtschaft verlieren die privaten Haushalte in Deutschland aufgrund der Niedrigzinspolitik der EZB jährlich Ersparnisse im Wert von rund 14 Mrd. Euro. Dieser...

EZB-Niedrigzinspolitik enteignet die Sparer

Laut Berechnungen der DekaBank und des Instituts der Deutschen Wirtschaft verlieren die privaten Haushalte in Deutschland aufgrund der Niedrigzinspolitik der EZB jährlich Ersparnisse im Wert von rund 14 Mrd. Euro. Dieser Betrag entspricht jedoch nur der sogenannten Inflationssteuer, also dem Kaufkraftverlust des Geldes (Bargeld und Sichteinlagen bei Banken im Wert von gut 1 Bill. Euro) durch die Inflation. Tatsächlich sind die Verluste aber sehr viel höher, weil nicht nur die Zahlungsmittel, sondern das gesamte Geldvermögen der deutschen Sparer im Wert von rund 5 Bill. Euro letztlich einer kalten Enteignung unterliegt. Es ist nämlich davon auszugehen, dass längerfristig das gesamte Zinsgefüge im finanzrepressiven Umfeld nach unten gedrückt wird.Die Besitzer von Spar- und Termineinlagen, Sparbriefen, Wertpapieren und Guthaben bei Versicherungen sowie Ansprüchen aus Betriebsrenten sehen sich – direkt oder indirekt – bei Fälligkeit ihrer Finanzanlagen gezwungen, zum Teil erhebliche Abschläge bei der Wiederanlage ihrer Ersparnisse hinzunehmen. Die Finanzakteure sowohl an den Geld- als auch an den Kapitalmärkten können bei überschaubaren Risiken kaum mehr positive Renditen erwirtschaften. Ökonomen sprechen hier von “finanzieller Repression”, unter der man im engeren Sinne die gezielte Manipulation der Nominalzinsen mit dem Zweck der Umverteilung der Ersparnisse hin zum Schuldner und damit vor allem zu den verschuldeten Regierungen versteht.Seit geraumer Zeit flutet die EZB wie auch die anderen Zentralbanken der großen Industrieländer die Geldmärkte mit billigem Zentralbankgeld, was inzwischen bei weitem nicht nur am kurzen Ende des Marktes zu faktischen nominalen Nullzinsen führt. Dies wiederum erhöht den Anreiz für Finanzinvestoren, aufgrund des verzerrten Rendite-Risiko-Profils Mittel an den Kapitalmärkten anzulegen, was seinerseits künstlich aufgeblasene Immobilienpreise bzw. Wertpapierkurse und damit sinkende Kapitalmarktzinsen nach sich zieht. Auf diese Weise können sich dann alle Kreditnehmer, so auch der Staat, günstiger neu verschulden oder alte Kredite billiger ablösen. Die Rechnung zahlt hier freilich der Sparer durch erzwungenen Verzicht auf marktgerechte reale Erträge.In Deutschland betrug das Realzinsniveau am Kapitalmarkt für Bundesanleihen bis zur Einführung des Euro im langfristigen Mittel gut 4 %; selbst in den Hochinflationsphasen rund um die Ölkrisen und die Wiedervereinigung war es nicht unter 2 % gesunken. Dagegen belief sich der reale Kapitalmarktzins (vor Steuern) 2012 auf – 0,5 %, was dazu führt, dass sich der Bund durch schieres Nichtstun entschuldet hat! Kein Wunder also, dass von weiten Teilen des politischen Establishments in Deutschland die Euro-Rettung als “alternativlos” bezeichnet wird, profitieren doch nicht nur die Regierungen der hochverschuldeten Problemländer Südeuropas von der Politik des leichten Geldes. Dies gilt umso mehr, als zahlreiche regulatorische Markteingriffe wie etwa die erforderliche Eigenkapitalunterlegung bei Bankkrediten oder die geplante Einführung von Liquiditätsstandards im Rahmen von Basel II/III sowie die verwässerten Anforderungen bei der Qualität der refinanzierungsfähigen Sicherheiten bei den geldpolitischen Geschäften der EZB Staatsanleihen strukturell privilegieren. Zinsverlust größerUm nun eine Größenordnung für die Belastung der privaten Ersparnisse durch die finanzielle Repression abzuleiten, können bei konservativer Rechnung zusätzlich zu den Kosten der Inflationssteuer auf die liquiden Geldbestände weitere 58 Mrd. Euro jährlich angesetzt werden. Dieser Betrag ergibt sich, wenn man als Bemessungsgrundlage für die Financial Repression Tax das gesamte Geldvermögen der deutschen Haushalte abzüglich Bargeld und Sichteinlagen in Höhe von 3882 Mrd. Euro mit einem vorsichtig angesetzten jährlichen Zinssatzverlust von 1,5 % multipliziert. Die Benchmark bildet dabei der mittelfristige Wachstumstrend der Volkswirtschaft. 100 Mrd. Euro VerlustDabei ist noch nicht berücksichtigt, dass die Gesamtbelastung für die deutschen Sparer noch höher anzusetzen wäre, wenn man auch die auf die Nominalzinsen zu entrichtende Kapitalertragssteuer (Abgeltungsteuer plus Solidaritätszuschlag) in Höhe von 26,5 % in Rechnung stellen würde. Im vergangenen Jahr betrug das Aufkommen des Staates aus dieser Quelle 28 Mrd. Euro. Fasst man alles zusammen, dürfte sich die finanzielle Gesamtbelastung der deutschen Sparer aus Kapitalertragsteuer, Inflationssteuer und finanzieller Repression überschlägig auf jährlich 100 Mrd. Euro belaufen.In gesamtwirtschaftlicher Betrachtung müssen auch die langfristigen Wohlfahrtsverluste der Niedrigzinspolitik berücksichtigt werden, weil das Kapital in weniger produktive oder zu risikoreiche Verwendungszwecke fehlgeleitet wird. Die Kosten der in Europa praktizierten Umverteilungsmaschinerie sind also enorm. Fraglich bleibt bei alledem die demokratische Legitimation. Entscheidungen in Bezug auf Umverteilungen von Einkommen und Vermögen innerhalb Europas sind von den zuständigen nationalen Parlamenten zu treffen und nicht intransparent durch die Hintertür. Dem politischen Kartell in Europa zulasten der Sparer kommt dies jedoch gerade recht. Wie sonst hätte man vor dem deutschen Wähler rechtfertigen können, dass gerade er, der sich nach den jüngsten EZB-Untersuchungen im Rahmen der Household Finance and Consumption Survey (HFCS) generell im unteren Bereich der Vermögensskala in Europa befindet, auf diese Weise zur Ader gelassen wird? Es ist nämlich mehr als zweifelhaft, ob die faktische Gesamtbesteuerung des Geldvermögens einer näheren Prüfung nach den allgemein akzeptierten Maßstäben der Steuergerechtigkeit standhält. Resultat von ÜbertreibungenDie Banken- und Staatsschuldenkrise in Teilen des Euroraums ist in ihrem Kern das Resultat vorangegangener jahrelanger Übertreibungen und Fehlentwicklungen, die sich nun als fundamentale Vertrauenskrise in die wirtschaftlichen Strukturen sowie in die Tragfähigkeit der Staatsfinanzierung einer Reihe von EWU-Ländern manifestiert. Eine wirkliche Lösung der fundamentalen Probleme in Europa kann und darf dauerhaft nicht bei den Zinsen gesucht werden; zu umfassenden Strukturreformen und nachhaltiger Haushaltskonsolidierung gibt es keine echte Alternative.—-Gerhard Rösl, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Regensburg