EZB nimmt Euro-Stärke in den Fokus
Die erste Zinssitzung des EZB-Rats nach der Sommerpause war mit Spannung erwartet worden – und enttäuschte nicht. Vor allem die Bewertung der Euro-Stärke sorgte für viel Diskussionsstoff. Die EZB überraschte zudem teilweise mit ihren neuen Projektionen – während sie sich beim Thema Strategie zurückhielt. ms Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich besorgt über die jüngste Aufwertung des Euro und den möglichen dämpfenden Einfluss auf die ohnehin weit unter Ziel liegende Inflation im Euroraum geäußert. Marktteilnehmer und Volkswirte werteten die Aussagen des EZB-Rats und von EZB-Präsidentin Christine Lagarde nach der Zinssitzung gestern aber insgesamt als eher verhaltene Reaktion. Dazu dürften auch Medienberichte beigetragen haben, nach denen im Rat vor einer Überreaktion auf die Aufwertung gewarnt worden ist. Der Euro legte jedenfalls in der Folge sogar deutlich zu.Der Euro hat seit Beginn des coronavirusbedingten Lockdown in gut fünf Monaten zeitweise um 12 % zum Dollar zugelegt und war sogar erstmals seit zwei Jahren über die Marke von 1,20 Dollar geklettert. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane hatte daraufhin betont, dass der Wechselkurs durchaus von Bedeutung und relevant für die Geldpolitik der EZB sei. Das wurde von vielen Beobachtern als eine erste verbale Intervention der EZB gegen die Euro-Stärke interpretiert – woraufhin der Euro verlor. Deshalb war mit besonderer Spannung erwartet worden, wie sich der EZB-Rat und Lagarde nach der ersten Zinssitzung nach der Sommerpause positionieren würden.Die Spannung war umso größer, als die Euro-Hüter ohnehin schon damit konfrontiert sind, dass die wirtschaftliche Erholung im Euroraum schon wieder an Schwung verliert und zugleich die Corona-Neuinfektionszahlen vielerorts wieder gestiegen sind. Zudem ist die Inflationsrate im August unerwartet unter die Nulllinie gerutscht – zum ersten Mal seit Mai 2016. Einige Beobachter sehen gar die Gefahr einer Deflation, also einer Abwärtsspirale aus fallenden Preisen und sinkendem Wachstum. In jedem Fall ist die Inflation weit vom mittelfristigen EZB-Ziel von unter, aber nahe 2 % entfernt.Der EZB-Rat nahm nun an zwei Stellen seines Eingangsstatements den EZB-Wechselkurs explizit auf – erstmals seit Anfang 2018. So hieß es an der einen Stelle, dass der Rat auch den Wechselkurs sehr genau beobachten werde mit Blick auf die möglichen mittelfristigen Implikationen für den Inflationsausblick. An der anderen Stelle hieß es, dass der Wechselkurs ein Faktor sei, der den Preisdruck kurzfristig dämpfe. Lagarde hob die Erwähnung im Statement in der Pressekonferenz nach der Sitzung explizit hervor. Sie sagte zudem, dass der EZB-Rat die Aufwertung “ausführlich diskutiert” habe und diese “genau beobachten” werde. Sie erklärte zudem auf Journalistenfragen immer wieder und sehr ausführlich, dass eine Aufwertung die Inflation dämpfe.Zugleich betonte sie aber mehrfach, dass die EZB kein Wechselkursziel habe, sondern allein auf das Erreichen von Preisstabilität fokussiert sei. Die Formulierungen im Statement erscheinen zudem vorsichtiger als etwa jene, die die EZB Anfang 2018 unter Ex-Präsident Mario Draghi gewählt hatte. Damals war davon die Rede, dass “die Volatilität des Wechselkurses” eine “Quelle der Unsicherheit” sei. Solche Formulierungen wurden dem Vernehmen nach auch gestern diskutiert, aber verworfen. Zudem gab es Berichte, dass argumentiert worden sei, dass es keine Überreaktion geben dürfe.Hintergrund solcher Überlegungen dürfte auch sein, dass die Euro-Aufwertung auch eine Reihe fundamentaler Gründe hat, wie etwa die Einigung auf den EU-Wiederaufbaufonds und eine weltweit gestiegene Konjunkturzuversicht, die den Dollar als sicheren Hafen weniger gefragt macht. Zudem galt der Euro in der Vergangenheit durchaus als unterbewertet – etwa auch beim Internationalen Währungsfonds.Zu den Euro-Gewinnen gestern trug nach verbreiteter Einschätzung auch bei, dass Lagarde kaum Signale für eine weitere Lockerung der bereits sehr expansiven Geldpolitik gab. Der EZB-Rat betonte zwar, dass weiterhin ein umfangreicher geldpolitischer Stimulus nötig sei, und er untermauerte seine generelle Bereitschaft, notfalls alle Instrumente zu nutzen. Lagarde schloss auch eine Zinssenkung nicht aus. Konkrete Signale gab es aber nicht. Experten erwarten eine weitere Aufstockung und Verlängerung des 1,35 Bill. Euro schweren Corona-Notfallankaufprogramms PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) zur Jahreswende 2020/2021.Lagarde sagte gestern indes, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass das aktuelle PEPP-Volumen voll ausgeschöpft werde. Bei der Juli-Sitzung des EZB-Rats hatte es noch eine Diskussion gegeben, dass das nicht unbedingt der Fall sein müsse, wenn es auch mit weniger ginge.