EZB plädiert für höheres Renteneintrittsalter

Notenbank analysiert Folgen der Alterung der Gesellschaften - Geringeres Wachstum drückt auf die Zinsen

EZB plädiert für höheres Renteneintrittsalter

ms Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) hat vor weitreichenden negativen wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der Alterung der Gesellschaften in den Euro-Ländern gewarnt – und in dem Zusammenhang für höhere Renteneintrittsalter plädiert. Zugleich betonte sie in einem gestern vorab veröffentlichten Aufsatz aus ihrem neuen Wirtschaftsbericht, dass wegen der Alterung und der wirtschaftlichen Implikationen der Druck auf die Geldpolitik steigen könne, die Leitzinsen niedrig zu halten, und auch der Einsatz unkonventioneller Maßnahmen wie Anleihekäufe wahrscheinlicher werde. Politisch sensible DebatteDie Analyse ist damit in zweierlei Hinsicht äußerst bemerkenswert: Einerseits mischt sich die EZB mit der Forderung nach höherem Renteneintrittsalter in eine politisch hochsensible Debatte ein. Die Bundesbank hatte in früheren Jahren mit konkreten Altersangaben für ein höheres Renteneintrittsalter in Deutschland für Aufsehen gesorgt und teils heftige Kritik aus der Politik geerntet. Andererseits scheint die EZB mit den Aussagen zu den Folgen für die Geldpolitik neue Argumente für eine noch länger lockere Geldpolitik zu liefern.Laut der EZB-Analyse wird die Alterung der Gesellschaften enorme negative Konsequenzen für die Wirtschaft haben. So werde insbesondere das Arbeitskräfteangebot schrumpfen und die Produktivität abnehmen. Am Ende dürften demnach “alle Bereiche des Potenzialwachstums” leiden. Zugleich dürften die ohnehin hohen altersbedingten öffentlichen Ausgaben weiter steigen und zu einer Last für die fiskalische Nachhaltigkeit werden. Die Folgen unterschieden sich zwar von Land zu Land, aber letztlich seien alle betroffen.Die EZB fordert deshalb weitere Reformen in den Rentensystemen. Speziell in den Euro-Krisenländern sei zwar schon einiges passiert. Der Reformeifer sei zuletzt aber erlahmt, kritisieren die Experten. “Weitere Reformen in diesem Bereich scheinen wesentlich zu sein und sollten nicht hinausgezögert werden”, heißt es in der Analyse. Wenngleich die Experten argumentieren, dass es verschiedene Reformansätze gebe, schreiben sie die größte positive Wirkung einer Erhöhung der Renteneintrittsalter zu – etwa im Vergleich zu höheren Rentenbeiträgen oder niedrigeren Versorgungsleistungen. Eine Verlängerung der Arbeitsleben würde insbesondere die Zahl der aktiven Arbeitskräfte im Verhältnis zu den Rentnern erhöhen, argumentieren die EZB-Experten – zumal wenn es zugleich Maßnahmen gebe, damit junge Arbeitskräfte nicht verdrängt werden. Zudem steige der Anreiz für lebenslanges Lernen und die Anhäufung von Humankapital – was beides das Wachstum stütze. Zugleich würde der finanzielle Druck in den Rentensystemen sinken. Die Analyse nennt aber kein konkretes Alter, zumal sich die nötigen Maßnahmen von Land zu Land unterschieden. Sie wirbt allgemein für eine Anhebung der gesetzlichen und der tatsächlichen Renteneintrittsalter “im Einklang mit dem Ansteigen der Lebenserwartung”. Unkonventionelle GeldpolitikWas die Folgen für die Geldpolitik betrifft, verweist die EZB auf verschiedene Studien, nach denen die Alterung etwa durch den Rückgang des Wachstums und eine tendenziell höhere Ersparnis zu einem niedrigeren Gleichgewichtszins führt, also jenem Satz, der die Wirtschaft im Gleichgewicht hält, ohne zu hohe Inflation. Dieser Effekt werde zwar über die Zeit langsam wieder auslaufen, trotzdem müssten die geldpolitischen Entscheider das berücksichtigen. Bei einem unveränderten Inflationsziel bedeute ein für längere Zeit niedrigerer Gleichgewichtszins niedrigere Leitzinsen. Damit nähmen der Zinssenkungsspielraum und die Wahrscheinlichkeit ab, an die Zinsuntergrenze zu stoßen. Das bedeute auch, dass unkonventionelle Maßnahmen wahrscheinlicher würden, so die EZB. Dazu gehören unter anderem breite Anleihekäufe oder der Ausblick auf die künftige Geldpolitik, die Forward Guidance. Die EZB steuert aktuell auf ein Ende ihrer Anleihekäufe zum Jahresende zu (vgl. BZ vom 27. Februar und 6. März), ist aber noch vorsichtig.In ihrer Analyse betont die EZB zudem, dass die Alterung auch Implikationen für die Zentralbankziele haben könne. Ältere Gesellschaften legten beispielsweise mehr Gewicht auf Preisstabilität als auf die Stabilisierung von Wachstum oder Beschäftigung. Zudem hätten sie ein größeres Interesse an der Finanzstabilität, zumal wenn die Alterssicherung stark auf privaten Anlageformen beruhe. Mit weitergehenden Aussagen hält sich die EZB aber zurück. Anders als in den USA, wo Notenbankvertreter über das Fed-Mandat und das 2-Prozent-Inflationsziel debattieren, scheut der EZB-Rat solche Diskussionen bislang weitgehend.