EZB-Ratsmitglied warnt vor geldpolitischer Überreaktion
EZB-Ratsmitglied warnt vor geldpolitischer Überreaktion
Stournaras gegen weitere Zinserhöhungen und schnelleren Bilanzabbau
ms Frankfurt
EZB-Ratsmitglied Yannis Stournaras warnt eindringlich vor einer Überreaktion der Europäischen Zentralbank (EZB) im Kampf gegen die hohe Inflation. "Wir dürfen es nicht übertreiben", sagt der griechische Zentralbankchef im Interview der Börsen-Zeitung. "Wir sollten und müssen die Wirtschaft nicht komplett abwürgen." Konkret spricht sich Stournaras gegen weitere Zinserhöhungen aus und auch gegen mehr Tempo beim Abbau der aufgeblähten EZB-Bilanz. "Wir sollten jetzt nicht übereilt neue Entscheidungen treffen", sagt der Notenbanker dazu.
Der EZB-Rat hatte vergangene Woche zur Überraschung vieler seine Leitzinsen zum zehnten Mal in Folge erhöht. Seit Juli 2022 summieren sich die Zinserhöhungen auf 450 Basispunkte – was beispiellos ist. Der Rat hatte signalisiert, dass damit der Zinsgipfel erreicht sein könnte, allerdings hatten einige Hardliner ("Falken") im Nachgang weitere Zinserhöhungen nicht ausgeschlossen. Zugleich rückt die Bilanz immer stärker in den Fokus, weil einige "Falken" auf einen schnelleren Abbau drängen. Die EZB steckt in einem Dilemma aus hoher Inflation und Rezessionsrisiken. Die Inflation liegt mit 5.3% deutlich oberhalb des EZB-Ziels von 2,0%.
Aus Sicht von Stournaras ist derzeit die größere Gefahr, geldpolitisch zu viel zu tun. Einige Ratskollegen argumentieren andersherum. "Wir sollten ruhig Lehren aus der Vergangenheit ziehen. Wir müssen nicht so lange straffen, bis im Bankensystem oder in der Wirtschaft etwas komplett kaputtgegangen ist", sagt er. Die Euro-Wirtschaft stagniere, während die Inflation bereits deutlich zurückgehe. Jetzt gehe es darum, die bisherigen Schritt wirken zu lassen. Es sei "noch sehr viel restriktiver Impuls in der Pipeline".
Stournaras erwartet auch nicht, dass es weitere Zinserhöhungen geben wird. "Ich gehe nach aktuellem Stand davon aus, dass unser nächster Schritt eine Zinssenkung sein wird", sagt er. Wann es so weit ist, sei aber schwer zu sagen. Genauso wenig hält er davon, den Bilanzabbau durch ein früheres Ende der Reinvestitionen beim Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP oder sogar durch aktive Anleihekäufe zu forcieren. "Wenn wir das Tempo jetzt deutlich erhöhen würden, könnte es einen Aufschrei an den Märkten geben und zu Turbulenzen kommen. Da sollten wir keine unnötigen Risiken eingehen."
"Unser primäres Mandat ist Preisstabilität und wir wollen die Inflation zeitnah auf 2,0% zurückbringen – das ist ganz klar", sagt Stournaras. "Wir schauen aber auch auf die Wirtschaft, uns liegen auch das Wachstum und die Beschäftigung am Herzen. Wir fühlen auch eine soziale Verantwortung." Außerdem führe geringeres Wachstum zu weniger Inflation.
Hier das Interview im Volltext
Here is the English version of the interview
Bundesbank-Chef Joachim Nagel zum Zinskurs
Interview Seite 7