EZB reagiert indirekt auf Bundesverfassungsgericht
fed Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) bemüht sich, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts entfachte Kontroverse weiter zu entschärfen. Das Gericht hatte Anfang Mai das EZB-Staatsanleihekaufprogramm PSPP als zum Teil nicht konform mit dem Grundgesetz bezeichnet. Die EZB habe die Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend überprüft und nachgewiesen.Aus dem gestern veröffentlichten Protokoll der Sitzung des EZB-Rats von Anfang Juni geht hervor, dass Europas Notenbanker seinerzeit umfassend Fragen der Verhältnismäßigkeit geldpolitischer Maßnahmen erörtert haben – allerdings ohne direkte Bezugnahme auf das Urteil des obersten deutschen Gerichts. “Alles in allem bestätigt das Protokoll erneut, dass die EZB auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum PSPP umfänglich reagiert hat, während die Notenbank offiziell immer betont hat, dass sie dies nicht zu tun beabsichtigt”, kommentierte gestern der Senior Economist der Commerzbank, Michael Schubert.Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Deutschland, kommt in einer ersten Würdigung der Protokolle zu einer ähnlichen Einschätzung. Das Protokoll vermittle den Eindruck, die Zentralbank versuche, “den Konflikt mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht zu beenden”, erklärte Brzeski. Er verwies zur Begründung beispielsweise auf die Formulierung, dass “der Kauf von Staatsanleihen im Rahmen des PEPP und des APP ein wirksames Instrument zur Erreichung des im Vertrag festgelegten Preisstabilitätsziels” war – auch wenn sich diese Aussage nicht explizit auf das PSPP beziehe, stehe sie doch im engen Kontext zu den Anmerkungen aus Karlsruhe. Nebenwirkungen im BlickAn anderer Stelle berichtet das Protokoll der EZB-Juni-Sitzung darüber, dass auch über unerwünschte Folgen geldpolitischer Maßnahmen gesprochen wurde. Ankaufprogramme seien so konzipiert worden, dass “ausreichende Schutzvorkehrungen getroffen wurden, um mögliche nachteilige Nebenwirkungen, einschließlich der Risiken einer fiskalischen Dominanz, zu begrenzen und das Verbot der monetären Finanzierung anzugehen”, heißt es im EZB-Protokoll.Bereits seit einigen Tagen gibt es Fortschritte beim Bemühen, eine Lösung zu finden, um das vom Urteil des Bundesverfassungsgericht ausgehende Risiko auszuräumen, dass sich die Bundesbank künftig nicht mehr an der Umsetzung des Ankaufprogramm PSPP beteiligen darf. Notenbankkreisen zufolge hat der EZB-Rat auf der Sitzung in dieser Woche ein Bündel an Dokumenten freigegeben, um Bundestag und Bundesregierung die Verhältnismäßigkeit der Anleihekäufe darzulegen (vgl. BZ vom 25. Juni). Die Bundesbank kann die Dokumente umgehend nach Berlin weiterleiten – noch bevor der Bundestag am 3. Juli in die Sommerpause gehen wird.Dass sich die EZB auf gutem Weg sieht, das durch das Urteil entstandene Problem zu entschärfen, hat gestern das finnische Mitglied des EZB-Rats, der frühere EU-Währungskommissar Olli Rehn, bestätigt. “Wir haben einen pragmatischen und vernünftigen Weg gefunden, ohne die Unabhängigkeit der Notenbank infrage zu stellen, die ja auch wesentlicher Bestandteil der deutschen politischen Kultur und der europäischen Rechtsordnung ist”, sagte Rehn dem “Handelsblatt”. EZB trifft LiquiditätsvorsorgeDie EZB hat unterdessen gestern eine Vorsichtsmaßnahme gegen mangelnde Euro-Liquidität getroffen. Die Zentralbank hat unter der Bezeichnung Eurep (Eurosystem repo facility for central banks) eine neue Kreditlinie für Notenbanken aus Ländern eingerichtet, die nicht zum Euro-Währungsraum gehören. Die jeweiligen Notenbanken können sich über die Kreditlinie Euro-Beträge besorgen, falls es zu Knappheiten kommen sollte. Als Gegenleistung sind Sicherheiten zu stellen. Die Maßnahme, mit der die EZB auf die finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie reagiert, ist auf ein Jahr befristet.