EZB sorgt sich um Wirtschaft und will nachlegen

Lagarde: Risiken nun eindeutig abwärtsgerichtet - Expertengremien arbeiten bereits an neuen Maßnahmen

EZB sorgt sich um Wirtschaft und will nachlegen

ms Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) sorgt sich wegen der erneuten Zuspitzung der Coronakrise um die wirtschaftliche Erholung im Euroraum und wird deshalb wohl im Dezember ihre bereits ultraexpansive Geldpolitik erneut lockern. Die Risiken für die Konjunktur nähmen eindeutig zu, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde gestern nach der virtuellen Sitzung des EZB-Rats. Im Dezember “wird der EZB-Rat seine Instrumente der Lage entsprechend neu kalibrieren”, wie es im Eingangsstatement des Gremiums hieß. Die Euro-Hüter seien sich einig gewesen, dass weitere Maßnahmen notwendig seien, ergänzte Lagarde. Coronakrise spitzt sich zuMit den Aussagen und der Ankündigung reagiert die EZB auf die dramatisch ansteigenden Corona-Infektionszahlen in allen großen europäischen Ländern und die neuen, scharfen Maßnahmen seitens der Politik zur Eindämmung des Virus. Erst am Mittwoch hatte die Bundesregierung erneut weitreichende Kontaktbeschränkungen ab Montag beschlossen (siehe Text oben). Im zweiten Quartal hatte der Lockdown der Euro-Wirtschaft das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 11,8 % einbrechen lassen – so stark wie nie zuvor.Die EZB hat sich mit beispiellosen Maßnahmen gegen die Krise gestemmt und insbesondere im März das Corona-Notfallkaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) aufgelegt, das nach einer Aufstockung im Juni 1,35 Bill. Euro bis Mitte 2021 umfasst. Trotzdem war bereits in den vergangenen Wochen der Druck gestiegen nachzulegen. Die Euro-Wirtschaft hatte schon an Schwung verloren, die Inflation war unter 0 % gesackt und der Euro hatte zeitweise kräftig aufgewertet. Zuletzt spitzte sich dann die Coronalage erneut zu, und Sorgen vor einer neuen Rezession oder gar einer Deflation nehmen zu.Der EZB-Rat urteilte gestern, dass die harten Daten, Umfrageergebnisse und hochfrequenten Indikatoren “auf eine deutliche Abkühlung der wirtschaftlichen Aktivität im Schlussquartal des Jahres” hindeuteten. Die Abschwächung vollziehe sich schneller als erwartet, und die Risiken für den Ausblick seien nun “eindeutig abwärtsgerichtet”. Entscheidend sei jetzt der Verlauf der Pandemie. Ob es im vierten Quartal einen BIP-Rückgang geben werde, sei noch unklar, so Lagarde. Das von den EZB-Volkswirten im September erwartete Wachstum von 3,1 % sei aber nun unrealistisch. Bei der Inflation geht der Rat davon aus, dass diese bis Anfang 2021 unterhalb von 0 % verharren wird. Er befürchte aber keine Deflation, sagte Lagarde.Im Dezember werden die EZB-Volkswirte neue Projektionen für das Wachstum und die Inflation vorlegen und erstmals auch das Jahr 2023 einbeziehen. “Auf der Grundlage dieser aktualisierten Einschätzung wird der EZB-Rat seine Instrumente der Lage entsprechend neu kalibrieren, um auf die jeweilige Situation zu reagieren und sicherzustellen, dass die Finanzierungsbedingungen günstig bleiben”, hieß es im Statement. Lagarde ging noch einen Schritt weiter: Es gebe “wenig Zweifel”, dass es im Dezember ein Maßnahmenpaket geben werde.Laut Lagarde haben die entsprechenden Fachgremien in der EZB bereits die Arbeit aufgenommen. Jetzt gehe es darum zu schauen, was am besten wirke, und den “bestmöglichen Mix” hinzubekommen. Dabei würden alle Instrumente angeschaut. Bereits seit längerem spekulieren Beobachter auf eine weitere Aufstockung und Verlängerung von PEPP. Denkbar wären aber auch weitere Liquiditätshilfen für die Banken oder gar eine Senkung des Einlagenzinses von aktuell – 0,5 %.Lagarde betonte gestern mehrfach die Einmütigkeit im Rat hinsichtlich eines weiteren Handlungsbedarfs. Sie strebe so viel Konsens an wie möglich, sagte sie, betonte aber zugleich: “Einmütigkeit ist nicht nötig, um zu handeln.” Im EZB-Rat gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten darüber, wie viel Unterstützung nötig ist und welche Instrumente genutzt werden sollten. Appell an die PolitikEinig sind sich die Euro-Hüter allerdings darin, dass der Fiskalpolitik aktuell eine besondere Verantwortung zukommt. Auch Lagarde appellierte gestern an die Politik, speziell beim 750 Mrd. Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds zu einer Einigung zu kommen.