EZB IM BRENNPUNKT

EZB-Staatsanleihekäufe knacken 1000-Mrd.-Euro-Marke

Schätzungen der Euro-Hüter attestieren große positive Effekte von QE - Kritiker zweifeln an Notwendigkeit und betonen Risiken - Zinssitzung am Donnerstag

EZB-Staatsanleihekäufe knacken 1000-Mrd.-Euro-Marke

Die Euro-Währungshüter entscheiden am Donnerstag über ihren Kurs. Sorge bereitet ihnen die hartnäckig niedrige Inflation. Zugleich treiben sie mögliche Engpässe bei ihrem Wertpapierkaufprogramm um – das jetzt einen Meilenstein erreicht hat.Von Mark Schrörs, FrankfurtDie Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) im Zuge ihres heftig umstrittenen Wertpapierkaufprogramms (Quantitative Easing, QE) haben die Marke von 1 000 Mrd. Euro überschritten. Bis Mittwoch vergangener Woche summierten sich die im März 2015 gestarteten Käufe von Staats- und anderen öffentlichen Anleihen auf 1 001,9 Mrd. Euro, wie die Notenbank gestern mitteilte. Insgesamt hat das Eurosystem aus EZB und nationalen Zentralbanken seit Oktober 2014 für 1 233,3 Mrd. Euro Wertpapiere erworben. Neben Staats- und anderen öffentlichen Anleihen kauft die EZB gedeckte Schuldverschreibungen, Kreditverbriefungen und Unternehmensanleihen (siehe Grafik). Sorgen um Brexit-FolgenDiese Wegmarke erreicht das Eurosystem nun ausgerechnet zu einer Zeit, da erneut heftig darüber spekuliert und gestritten wird, ob die EZB ihre schon beispiellos expansive Geldpolitik erneut lockern muss. Hintergrund ist vor allem, dass die Inflation im August bei 0,2 % verharrte – weit unterhalb des EZB-Preisziels von mittelfristig knapp 2 %. Seit Frühjahr 2013 verfehlen die Euro-Hüter dieses Ziel. Hinzu kommt, dass sich die Wirtschaft nur schleppend erholt und die Risiken nicht zuletzt durch das Brexit-Votum weiter zugenommen haben (siehe auch Bericht unten). Im Mittelpunkt der Lockerungsdebatte steht das QE-Programm, zumal sich führende Euro-Notenbanker zuletzt sehr skeptisch zu weiteren Zinssenkungen geäußert haben.Die EZB war zum Anleiheankauf übergegangen, nachdem sie ihre Zinsen auf null und teils unter null gesenkt hatte und andere Maßnahmen wie langfristige Liquiditätsspritzen nicht den erhofften Erfolg gebracht hatten. Im Oktober 2014 begann sie mit ersten Käufen, ehe sie im März 2015 ihr vollumfängliches QE inklusive des Erwerbs von Staatstiteln aufzog. Inzwischen kauft sie für monatlich 80 Mrd. Euro ein. Bis März 2017 beläuft sich das QE-Volumen so auf 1 740 Mrd. Euro. Vor allem in Deutschland ist die Politik heftig umstritten. Hitzig debattiert wird auch, ob sie gescheitert ist oder nicht.Als die EZB im März 2015 QE startete, sagten die EZB-Volkswirte auf dieser Basis für 2016 und 2017 ein Wachstum von 1,9 % und 2,1 % sowie eine Inflation von 1,5 % und 1,8 % voraus. Bei den bislang letzten Prognosen im Juni dieses Jahres erwarteten sie für die beiden Jahre nur noch Wachstumsraten von 1,6 % und 1,7 % (für 2018: 1,7 %) sowie Inflationsraten von 0,2 % und 1,3 % (für 2018: 1,6 %). Die neuen Prognosen, die die EZB-Volkswirte an diesem Donnerstag vorlegen, könnten sogar noch leicht niedriger liegen.In der Notenbank ist man dennoch überzeugt, dass QE nicht gescheitert ist – im Gegenteil. Als ein wesentlicher Beleg gilt den Notenbankern die Entwicklung der Kreditvergabe. Tatsächlich sind etwa die Kreditzinsen für Unternehmen deutlich gesunken, und die aufmerksam beobachteten Ausleihungen der Banken an Unternehmen haben sich kräftig erholt. Die Kreditvergabe zog im Juli bereinigt um Kreditverkäufe und -verbriefungen um 1,9 % an. Bis zum Sommer 2015 war die Kreditvergabe gut drei Jahre lang sogar rückläufig gewesen. Aber auch mit Blick auf die Inflation treten die Notenbanker dem Eindruck entgegen, dass ihre Politik die Ziele verfehlt habe. Sie argumentieren vielmehr, dass ohne die geldpolitischen Lockerungen und ohne die Kaufprogramme die Eurozone in eine deflationäre Abwärtsspirale abgerutscht wäre.In der Notenbank gibt es interne Schätzungen, dass ohne die Kaufprogramme und andere Maßnahmen die Inflationsrate 2015 negativ gewesen wäre statt 0 % und 2016 und 2017 0,5 Prozentpunkte niedriger liegen würde – also wohl auch 2016 im roten Bereich verharren würde. Beim Wachstum gehen diese Schätzungen davon aus, dass die Maßnahmen zwischen 2015 und 2018 1,5 Prozentpunkte zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) beitragen. Bei diesen Kalkulationen scheinen indes noch nicht alle Lockerungen seit Ende 2015 berücksichtigt zu sein.Die Bundesbank ihrerseits hatte in ihrem Monatsbericht Juni unterschiedliche Modelle zur Schätzung der realwirtschaftlichen Auswirkungen durchgespielt. Für 2016 kamen die Modelle auf eine um 0,3 bis 1,9 Prozentpunkte höhere Inflation. Für 2017 lag die Spanne zwischen 0,1 und 2,5 Prozentpunkten. Die Unsicherheit über die Effekte sei groß, so das Fazit der Bundesbanker. Zudem warnten sie erneut, es gebe eben auch Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen dieser Politik.Es sind vor allem auch jene Nebenwirkungen und Risiken, die die Kritiker der EZB-Politik höher gewichten – zumal sich aus ihrer Sicht ebender erhoffte Effekt auf Wachstum und Inflation nicht eingestellt hat: Sie befürchten zum einen Fehlanreize für die Staaten mit Blick auf die nötige Haushaltskonsolidierung und Reformen. Bundesbankpräsident Jens Weidmann etwa hat mehrfach kritisiert, dass die niedrigen Zinsen zu einer “Aufweichung” des Budgetkurses geführt hätten. Zum anderen wachsen die Sorgen um die Finanzstabilität. Besonders kritisch werden zunehmend die Negativzinsen gesehen (vgl. BZ vom 24. August). Zudem sehen die Kritiker die Notwendigkeit für QE nicht. Ihr Argument: Die Inflation sei primär wegen des Ölpreises so niedrig. Die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel liege recht stabil bei rund 1 % und damit weit entfernt von Deflation. BIZ warnt vor GefahrenZu den prominentesten Kritikern der ultralockeren Geldpolitik der EZB und der anderen Notenbanken weltweit gehört die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die Zentralbank der Zentralbanken. Deren Chefvolkswirt Hyun Song Shin äußerte sich Ende vergangener Woche im Interview der Börsen-Zeitung äußerst kritisch zu diesem Kurs und warnte die Notenbanken vor einer neuerlichen Lockerungsrunde (vgl. BZ vom 2. September). Da die Folgen niedriger Inflation und milder Deflation nicht so desaströs seien wie vielfach angenommen, falle die Nutzen-Kosten-Bilanz der unkonventionellen Geldpolitik sehr viel schlechter aus als unterstellt. Womöglich, so warnte Shin, sei sogar bereits der Punkt erreicht, an dem diese Geldpolitik mehr schade als nutze.