EZB verschiebt Zinswende

Notenbank ändert Forward Guidance und bringt Leitzinssenkung ins Spiel - Details zu Langfristkrediten TLTRO-III

EZB verschiebt Zinswende

EZB-Präsident Mario Draghi hat die Tür für Zinssenkungen auch im Euroraum geöffnet und die Zinswende um ein halbes Jahr nach hinten verschoben. Im Falle weiterer negativer Risiken stünde die EZB für eine Senkung des negativen Einlagenzinssatzes sowie die Wiederaufnahme von Anleihekäufen bereit. jw Frankfurt – Zuvor hatte der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) beschlossen, den Zeitpunkt einer möglichen ersten Zinsanhebung mindestens auf das Ende des ersten Halbjahres 2020 von bisher Ende 2019 zu verschieben, um eine nachhaltige Annäherung der Inflation auf unter, aber nahe 2 % zu erreichen. Draghi betonte, dass die EZB für alle Fälle “handlungsbereit” sei. Mit Blick auf den von US-Präsident Donald Trump initiierten Handelsstreit sprach Draghi von einer “ausgeprägten Unsicherheit”, die auch die Finanzmärkte umtreibe. Dort werde der Streit als eine Art Zeitenwende erlebt, in der die seit dem Zweiten Weltkrieg herrschende “multilaterale Ordnung” ins Wanken gerate.Sorge bereiten der EZB auch die fallenden Inflationserwartungen. Aktuelle Zahlen zeigen, dass der Inflationswap der Eurozone im ersten Quartal 2019 bei rund 1,3 % lag, verglichen mit 1,7 % im dritten Quartal 2018, und sich immer weiter vom 2-Prozent-Ziel der EZB entfernt hat (siehe Grafik) Auch die offizielle Inflationsrate für den Euroraum war zuletzt von 1,8 % auf 1,2 % gefallen. Draghi meinte aber, dass die EZB noch keine Anzeichen für eine Entankerung der Inflationserwartungen sieht.Außerdem gab die EZB Details für die dritte Runde der Langfrist-Kredite für Geschäftsbanken (TLTRO-III) bekannt. Bei den zweijährigen Darlehen solle den Banken eine Prämie winken, wenn sie bei der Kreditvergabe nachweislich bestimmte Ziele erfüllen. Die Langfristdarlehen erhalten die Banken zu einem Zins, der zehn Basispunkte über dem durchschnittlichen Leitzins während der Laufzeit der Kredite liegt. Bei Erfüllung von Kreditvergabezielen werde er aber sinken. Er könne dabei so niedrig liegen wie der durchschnittliche Einlagensatz plus zehn Basispunkte.Die Hoffnungen der Finanzbranche auf Entlastung beim Strafzins erfüllten sich unterdessen zunächst nicht. Wegen der hohen Kosten der Negativzinsen – nach Branchenangaben im vergangenen Jahr rund 7,5 Mrd. Euro im Euroraum – waren zuletzt Forderungen nach einer Staffelung des Strafzinses oder Freibeträgen lauter geworden. Führende Notenbanker sehen dies jedoch skeptisch. Umstritten ist unter anderem, wie sehr der Negativzins die Geschäfte der Banken bremst. Die EZB sieht darin bislang noch keine Auswirkungen, lässt dies aber prüfen.Das Urteil der Analysten über den EZB-Entscheid fiel gemischt aus. “Hätte die EZB alle Mittel ausgereizt, hätte sie die teils überzogenen Sorgen der Markteilnehmer am Ende noch bestätigt. Die bisher vom Markt eingepreisten Leitzinssenkungserwartungen wurden wieder zurückgenommen”, schreibt die DZ Bank. Viele verweisen auch auf die schwierige Lage der EZB. “Angesichts des eskalierenden Handelskonflikts haben die Zentralbanken von Neuseeland und Australien bereits ihre Leitzinsen gesenkt und die US-Zentralbank Fed beginnt, eine Zinssenkung verbal vorzubereiten. Dass nun noch die Euro-Inflationsrate ins Rutschen gerät, erhöht den Handlungsdruck so stark, dass Mario Draghi dies nicht einfach bis zum Ende seiner Amtszeit aussitzen kann”, schreibt der Ökonom Friedrich Heinemann vom ZEW.Trotzdem rechnen die Analysten eher mit einer Leitzinssenkung als mit einer Wiederaufnahme des Quantitative Easing (QE). “Für wahrscheinlicher halten wir, dass die EZB ihren Einlagensatz im vierten Quartal dieses Jahres um 10 Basispunkte von minus 0,4 auf minus 0,5 senkt und dann auch die Forward Guidance verlängert”, schreibt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Notenbanken schwenken umDie EZB reiht sich mit ihrer gestrigen Entscheidung in den Trend zu einer Rückkehr in die lockere Geldpolitik ein. Australien und Indien haben die Zinsen bereits gesenkt, die USA denken über eine Senkung nach. Die Notenbanken hatten eigentlich vor, aus der lockeren Geldpolitik auszusteigen, doch vor allem der Handelskonflikt trübt die konjunkturellen Aussichten und verhindert dies.