EZB verschiebt Zinswende bis mindestens Sommer 2020

Draghi öffnet Tür für weitere Leitzinssenkung oder für eine Wiederauflage der Anleihekäufe

EZB verschiebt Zinswende bis mindestens Sommer 2020

jw Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Zinswende angesichts der vielen konjunkturellen Risiken bis weit in das kommende Jahr verschoben. Die EZB-Leitzinsen, die aktuell bei 0,0 % (Hauptrefinanzierungssatz), 0,25 % (Spitzenrefinanzierungssatz) und -0,40 % (Einlagensatz) liegen, werden “bis mindestens über die erste Hälfte des Jahres 2020 auf ihrem aktuellen Niveau bleiben”, teilte die EZB in Vilnius mit. Bislang hatte sie in Aussicht gestellt, dass die Zinssätze “mindestens bis Ende 2019” auf diesem Niveau bleiben werden. Gleichzeitig bekräftigte EZB-Präsident Mario Draghi die Bereitschaft der Notenbank, die Geldpolitik, falls nötig, weiter zu lockern. “Im Fall ungünstiger Rahmenbedingungen steht die EZB bereit zu handeln”, sagte Draghi. Die Entscheidung war einstimmig gefallen.Der EZB-Chef verwies auf geopolitische Unsicherheiten, den zunehmenden Protektionismus und Schwachstellen in Schwellenländern. Diese Gemengelage belaste insbesondere die Industrie in der Eurozone. Auch merkte Draghi an, dass die EZB wegen der geringen Inflationserwartung besorgt sei, sie aber keine Anzeichen für eine Deflation oder Rezession sehe. Mehrere Ratsmitglieder hätten angesichts der vielen Risiken indes die Möglichkeit einer Leitzinssenkung sowie die Option einer Wiederaufnahme der Anleihekäufe, die Ende 2018 beendet wurden, vorgeschlagen.Zudem gab die Notenbank die Konditionen der von September 2019 bis März 2021 vierteljährlich stattfindenden, gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO-III) bekannt und setzte diese etwas weniger lukrativ fest. Die Langfristdarlehen erhalten die Banken zu einem Zins, der zehn Basispunkte über dem durchschnittlichen Leitzins während der Laufzeit der Kredite liegt. Bei Erfüllung von Kreditvergabezielen werde er aber sinken. Er könne dann so niedrig liegen wie der negative Einlagensatz plus zehn Basispunkte während der Laufzeit der Geschäfte. Aktuell liegt der Satz bei -0,4 %. Der EZB-Rat sei der Ansicht, dass der positive Beitrag des Negativzinses zur geldpolitischen Akkommodation nicht von Nebenwirkungen auf Banken unterminiert werde.Die Aussicht auf weiter niedrige Leitzinsen unterstützte die Bundesanleihen. Die zehnjährige Bundrendite erreichte mit minus 0,24 % abermals ein Rekordtief. Abends war sie mit minus 0,23 % nur leicht darüber. Der Euro lag im späten Handel bei 1,13 Dollar (+0,7 %). Mit 1,1308 Dollar war er zuvor zeitweise auf den höchsten Stand seit Mitte April geklettert. Der Dax fiel um 0,2 % auf 11 953 Zähler. Der Euro Stoxx 50 verlor 0,1 % auf 3 336 Punkte. – Nebenstehender Kommentar Leitartikel Seite 8 Berichte Seiten 6 und 18