EZB verteidigt Negativzinspolitik

Analyse attestiert spürbare Effekte auf Wachstum und Inflation - Instrument noch nicht erschöpft

EZB verteidigt Negativzinspolitik

ms Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht ihren umstrittenen Negativzins als vollen Erfolg – und das Instrument auch noch nicht als ausgereizt an. In einer gestern vorab veröffentlichten Analyse aus dem neuen Wirtschaftsbericht untermauert die EZB frühere Einschätzungen, dass die Vorteile für die Euro-Wirtschaft die Nachteile bislang klar überwiegen würden. “Es gibt noch keine Anzeichen dafür, dass der von der Maßnahme ausgehende Stimulus erschöpft ist”, schreibt die EZB zudem. Zugleich warnt sie aber, dass sich das Verhältnis von Kosten und Nutzen mit der Zeit verändere – das gelte es permanent zu beobachten.Die Analyse kommt zu einer Zeit, da wieder intensiv über neue Lockerungen der EZB und auch über Zinssenkungen spekuliert wird. Der EZB-Rat betont stets, dass der Einlagenzins noch weiter sinken könnte. In der Coronakrise hat er aber bislang darauf verzichtet. Mitte 2014 hatte die EZB den Satz im Kampf gegen die damals von ihr attestierte Deflationsgefahr unter 0 % gesenkt – zum ersten Mal in ihrer Geschichte und als Erste der großen Zentralbanken überhaupt. Inzwischen liegt der Satz bei – 0,5 %. Vor allem in Deutschland ist diese Politik heftig umstritten. Kritiker warnen vor negativen Folgen für die Banken und auch für Sparer.Besonders interessant ist die neue EZB-Analyse auch, weil es aktuell in den USA zunehmende Markterwartungen gibt, dass auch die Fed zum Instrument negativer Zinsen greifen könnte. Von US-Notenbankern kommt bislang aber Ablehnung (siehe auch Bericht auf dieser Seite). Stärkeres KreditwachstumDie EZB kommt für den Euroraum nun zu einem positiven Fazit des Instruments. Die Negativzinspolitik habe zu einem um 0,7 Prozentpunkte höheren Kreditwachstum pro Jahr geführt. Davon entfielen 0,4 Prozentpunkte auf die gesunkenen Finanzierungskosten für Banken und 0,3 Prozentpunkte auf weitere, nicht standardmäßige Effekte.Was Sorgen um die Profitabilität der Banken infolge des Negativzinses betrifft, untermauert die Analyse die bisherige EZB-Sicht, dass es vorteilhafte wie negative Effekte gebe. Bislang sei das Ergebnis für die Profitabilität “weitgehend neutral” – “da der negative Effekt auf den Nettozinsertrag durch einen positiven Effekt auf die Bonität der Kreditnehmer ausgeglichen wurde”.Vor allem mit Blick auf die Profitabilität der Banken hatte der EZB-Rat zusammen mit der bislang letzten Senkung des Einlagenzinses im September 2019 ein zweistufiges System eingeführt, bei dem die gehaltene Überschussliquidität der Banken teilweise vom negativen Zinssatz ausgenommen und mit 0 % verzinst wird. Angesichts der neuerlichen Geldschwemme im Kampf gegen die Coronakrise gibt es Diskussionen, ob der entsprechende Multiplikator für den Freibetrag angepasst werden muss. In der EZB gibt es interne Kalkulationen über die richtige Höhe der Überschussliquidität, die Analyse macht dazu aber keine Angaben.Als ein Hindernis bei der Negativzinspolitik führt die EZB zwar die mögliche Flucht ins Bargeld an. Bislang gebe es aber keine Anzeichen für groß angelegte “Liquiditätslecks” dieser Art, heißt es in der Analyse.Insgesamt geht die EZB davon aus, dass ihre ultralockere Geldpolitik seit 2014 mit Negativzinsen, Liquiditätsspritzen und breiten Anleihekäufen (Quantitative Easing, QE) dazu geführt hat, dass das Euro-BIP Ende 2019 um 2,5 % bis 3,0 % höher gelegen habe als ohne diese Maßnahmen. Auf Inflationsseite habe diese Politik pro Jahr 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte zur Teuerungsrate beigesteuert. Die EZB-Experten schätzen, dass der Negativzins zu diesen Effekten zu rund einem Sechstel beigetragen habe: “Insgesamt haben die negativen Zinssätze die Wirtschaftstätigkeit unterstützt und letztlich zur Preisstabilität beigetragen.”Was Risiken der Negativzinspolitik wie einen erhöhten Anreiz zum Schuldenaufbau oder überhöhte Vermögenspreise betrifft, weist die EZB-Analyse erneut der makroprudenziellen Aufsicht die Verantwortung zu. Allerdings räumt die EZB sehr wohl ein, dass auch die geldpolitische Transmission bei einer lang anhaltenden Phase negativer Zinsen gestört werden könnte, wenn Banken versuchen, negative Effekte auf ihre Profitabilität zu umgehen. Deshalb schlussfolgert die EZB: “Im gegenwärtigen geldpolitischen Umfeld des Euroraums erfordern die Auswirkungen einer langen Periode negativer Zinssätze eine kontinuierliche und sorgfältige Überwachung, während wir uns weiter in unbekanntes Terrain vorwagen.”