LEITARTIKEL

Fahrt auf Sicht

Olaf Scholz (SPD) hat es als Bundesfinanzminister in der Haushaltspolitik schwerer als sein Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU). Die Wachstumsdynamik der Steuereinnahmen lässt nach. Der Staat schwimmt zwar noch im Geld, aber nicht mehr so sehr wie in...

Fahrt auf Sicht

Olaf Scholz (SPD) hat es als Bundesfinanzminister in der Haushaltspolitik schwerer als sein Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU). Die Wachstumsdynamik der Steuereinnahmen lässt nach. Der Staat schwimmt zwar noch im Geld, aber nicht mehr so sehr wie in der vergangenen Legislaturperiode. Rund 25 Mrd. Euro weniger für alle Jahre zusammen hat Scholz gegenüber der bisherigen Finanzplanung bis 2023 in der Kasse. Der Finanzminister kann zwar Wünsche der Minister nach Mehrausgaben erfüllen, aber nicht mehr alle voll befriedigen. Dies zeigt sich in den Eckpunkten für den Bundeshaushalt 2020, die Scholz heute dem Kabinett zur Billigung vorlegt. Tatsächlich hat Scholz nur vereinzelt den Rotstift angesetzt. Abgesenkt wurden die Ausgaben des Forschungsetats von Anja Karliczek (CDU), der auch die Ausbildungsförderung Bafög mit neuerdings weniger Anspruchsberechtigten umfasst. Diese freiwerdenden Mittel hätten allerdings gut in zukunftsweisende Forschungsvorhaben umgeschichtet werden können. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bewahrte sein Ressort mit einem hohen Anteil investiver Ausgaben erst auf der Zielgeraden der Eckwerte-Verhandlungen vor Kürzungen. Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) muss sich 2020 mit einem Etat auf Vorjahreshöhe begnügen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass ausgerechnet Unionsministerien von der Konsolidierung betroffen sind.Dem Ziel der großen Koalition, im Bundeshaushalt ohne neue Schulden auszukommen, wird Scholz bis 2023 auf dem Papier gerecht. Aber gut abgesichert ist diese Null nicht mehr. Die Zeiten, in denen das Ausgabenwachstum vorsichtig hinter dem Wirtschaftswachstum zurückblieb, sind vorbei. Im kommenden Jahr legt der Etat den Eckwerten zufolge so stark zu wie die Wachstumsschätzung für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – um 1,7 % oder 6,2 Mrd. Euro auf fast 363 Mrd. Euro. Bis zum Ende der mittelfristigen Finanzplanung 2023 steigen die Ausgaben bis auf 375 Mrd. Euro. Dies sind immerhin fast 19 Mrd. Euro mehr als in diesem Jahr ausgeben werden. Scholz gelingt die schwarze Null nur, weil er in jedem Jahr unkonkretisierte Minderausgaben einplant. Sie sind von der Hoffnung getragen, dass erfahrungsgemäß nicht alle Haushaltsmittel ausgegeben werden. Dem Bund fehlt unter anderem Planungskapazität für seine Investitionen. Zudem steckt in den Zinsausgaben des Bundes ein erheblicher Puffer von summiert knapp 7 Mrd. Euro bis 2020. Selbst wenn die Zinsen wieder steigen, bleibt der Bund durch die Laufzeitenstruktur seiner Schuldtitel davon noch einige Jahre verschont. Schließlich braucht Scholz die Flüchtlingsrücklage bis 2022 voll auf, die zuletzt mit dem Überschuss aus 2018 von knapp 12 Mrd. Euro auf 35 Mrd. Euro gewachsen war. Kurzum: Die schwarze Null ist eine rote Null.Mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands verschlechterte sich die Struktur des Bundeshaushalts in den nächsten Jahren. Der Zuwachs der Gesamtausgaben um fast 19 Mrd. Euro bis 2023 entspricht fast exakt dem Zuwachs der Sozialausgaben im Bundeshaushalt in dieser Periode. Der Anteil der Ausgaben für Soziales steigt im Etat damit von aktuell rund 50 % auf fast 53 % zum Ende der Finanzplanung. Daran sind Schwarz und Rot in der Koalition gleichermaßen beteiligt. Die bereits beschlossen Rentengeschenke manifestieren sich hier in Zahlen. Bei Investitionen werden die Ausgaben mit einem Zuwachs um 700 Mill. Euro im Jahr 2020 auf 39,6 Mrd. Euro bis 2023 zwar verstetigt, aber voraussichtlich nicht einmal voll ausgegeben. Vorsorge hat Scholz für den Abbau der Hälfte des Aufkommens aus dem Solidaritätszuschlag 2021 und die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung im Etat getroffen. Vorgesorgt ist aber keineswegs für alle in Aussicht genommenen Vorhaben. Die in der Koalition umstrittene Grundrente ist ungedeckt. Will der Minister die Neuverschuldungsnull halten, muss er sich etwas einfallen lassen.—–Von Angela WefersDas Bundeskabinett entscheidet heute über die Eckwerte des Etats 2020 und den mittelfristigen Finanzplan. Die schwarze Null ist tatsächlich eine rote Null.—–