TRUMP ERSCHÜTTERT DIE ÖKONOMISCHE WELTORDNUNG (5): AUSSENWIRTSCHAFTLICHES GLEICHGEWICHT

Falsche Preise am Devisenmarkt

Trump bringt an den Tag, was Deutschland zu verdunkeln versucht: Anhaltende Leistungsbilanzüberschüsse sind ein Verstoß gegen die Prinzipien des Freihandels

Falsche Preise am Devisenmarkt

Von Heiner Flassbeck *)Warum sind deutsche Leistungsbilanzüberschüsse ein Problem, fragen sich viele. Wenn die Verbraucher und Investoren in einigen Ländern unsere Produkte lieber kaufen als ihre eigenen oder die anderer Länder, dann ist das doch deren gutes Recht – jedenfalls so lange, wie sie diese Güter bezahlen können.Schon hier aber gibt es ein grundlegendes Missverständnis hinsichtlich der Funktionsweise des internationalen Handels. Das Bezahlen ist nämlich das Problem. Güter können am Ende aller zwischenzeitlichen Finanzierungsprozesse immer nur mit Gütern bezahlt werden. Wenn das Ausland heute mehr deutsche Güter kauft, als es an Deutschland verkauft, muss es einen Mechanismus geben, der dafür sorgt, dass demnächst die Deutschen mehr ausländische Güter kaufen, als sie selbst im Ausland verkaufen. Gibt es den nicht, wird Handel zu einer Einbahnstraße, in der sich einige Länder auf Dauer verschulden, schließlich zahlungsunfähig werden und feststellen müssen, dass sich für sie die Teilnahme an diesem Handel nicht gelohnt hat. Daraus wiederum ergibt sich eine einfache Erkenntnis: Das Problem der Überschüsse der einen sind die Defizite der anderen.Wenn aber einige Länder einen Sparüberhang haben, also immer weniger ausgeben als sie einnehmen, sagen manche Beobachter, dann muss es doch auch einen Mechanismus geben, der dafür sorgt, dass diese Ersparnisse im Ausland produktiv angelegt werden können. Das aber ist ein fundamentales Missverständnis. Aus der Tatsache, dass es einen Leistungsbilanzüberschuss gibt, darf man nicht auf einen freiwilligen Sparüberhang eines Landes schließen. Bei einem Leistungsbilanzüberschuss fließt niemals Sparkapital, das von den Defizitländern frei verwendet werden könnte.Bei einem zunehmenden Leistungsbilanzüberschuss, etwa aufgrund einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der Abwertung einer Währung oder wegen Lohnzurückhaltung in einer Währungsunion wie im Falle Deutschlands, steigen Nachfrage, Einkommen und die Zahl der Arbeitsplätze im Überschussland. Vollkommen gegenläufig sinkt im Defizit-Land die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Das Einkommen sowie die Zahl der Arbeitsplätze dieses Landes gehen zurück.Dass das Defizitland gleichzeitig Kredite vom nationalen und/oder internationalen Bankensystem erhält, die ihm den Kauf der zusätzlichen ausländischen Güter überhaupt erst möglich machen, obwohl sich seine wirtschaftliche Lage verschlechtert, ändert daran nichts. Es ist ja nirgendwo im Defizitland überschüssiges ausländisches Kapital vorhanden, das für irgendeine andere Aktivität als den Kauf der ausländischen Güter verwendet werden könnte. Die Gegenbuchung, die für die Kredite in der Zahlungsbilanzstatistik gemacht wird, hat mit einem Kapitalfluss oder der Anlage von Ersparnissen überhaupt nichts zu tun. Saldenmechanik beschädigtUm welche Mechanismen geht es nun, die für den Ausgleich im Handel sorgen, so dass erst gar keine Einbahnstraße im internationalen Handel entsteht? Handel soll ja immer allen beteiligten Nationen gleichermaßen zugutekommen. Entscheidend sind hier die Währungsrelationen. Hat sich ein Land, auf welche Weise auch immer, einen dauerhaften Vorsprung verschafft, muss die Währung dieses Landes so lange und so stark aufwerten, bis die anderen Länder eine Chance haben, die Wettbewerbssituation und schließlich die Leistungsbilanzsalden umzukehren.Ein entscheidendes Problem des heutigen internationalen Handels ist aber, dass die freien Devisenmärkte nicht gut funktionieren. Durch Spekulation mit Devisen kann es dazu kommen, dass die Währung eines Landes wie der USA, die über viele Jahre Leistungsbilanzdefizite aufweisen und an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben, auf- und nicht abwertet. In dieser Situation kann man als Überschussland nicht einfach auf die Ergebnisse der Märkte verweisen. Angesichts der falschen Preise am Devisenmarkt können die USA mit guten Gründen andere Maßnahmen ergreifen, um den Dollar zu schwächen oder die Aufwertung des Dollar durch Maßnahmen wie Zölle auszugleichen, ohne dass sich die Überschussländer darüber beklagen könnten. Protektionismus als ReaktionDefizitländer wie die USA können zur Begründung eigener protektionistischer Maßnahmen auch geltend machen, dass es, wie im deutschen Fall geschehen, Unterbewertung dadurch gibt, dass ein Land Lohndumping unter dem Deckmantel einer Währungsunion betreibt. Weil die Devisenmärkte selbst bei richtiger Bewertung des Euro immer nur den Durchschnitt der Eurozone abbilden können, bleibt eine Unterbewertung durch Lohndumping erhalten, die auch in Ländern außerhalb der Eurozone Schaden anrichtet. Defizit-Länder müssen sich solchen Fehlbewertungen nicht klaglos ergeben, sondern können aktiv dagegen vorgehen.Der reale effektive Wechselkurs ist das umfassende Maß für die Beurteilung der Position eines Landes. Er misst sowohl Preis- und Lohnstückkostendifferenzen zwischen den Ländern als auch Wechselkursbewegungen. Gewichtet werden die Länder (üblicherweise) mit ihrem Anteil am Export des betrachteten Landes oder mit dem Welthandelsanteil. Auch ein Mitglied einer Währungsunion kann so im globalen Maßstab relativ klar beurteilt werden.Bei der Betrachtung der Wechselkurse 1980 bis 1995 – zunächst auf der Basis von Inflationsdifferenzen, weil es die aussagefähigeren Lohnstückkostendifferenzen erst ab 1995 gibt – zeigt sich, dass die USA Anfang der 80er Jahre unter Ronald Reagan eine starke reale Aufwertung hinnehmen mussten, also einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Diese Fehlbewertung wurde durch massive Eingriffe der Staaten (Stichwort Louvre- und Plaza-Akkord) nach 1985 wieder korrigiert, genauso wie die damalige Unterbewertung der D-Mark. Bis 1995 bleiben jedoch die Positionen – außer der Japans – unauffällig und die meisten Länder liegen relativ nahe beieinander. Japan erlebte Ende der 80er Jahre und Mitte der neunziger Jahre allerdings eine irrsinnige Aufwertung, die durch nichts zu rechtfertigen war und in vielerlei Weise das Land für lange Zeit gelähmt hatte.Ab 1995 (siehe Grafik) konnte Japan seine dramatische Überbewertung erheblich korrigieren, zugleich werteten aber die USA wieder auf, genauso wie Großbritannien. Deutschland beginnt hier seine Talfahrt gegenüber dem Rest der Welt und gegenüber den Europartnern. Diese reale Abwertung wird zunächst vor allem getragen von einem im Vergleich zum Dollar schwachen Euro, dann jedoch vor allem von dem relativen Zurückbleiben der deutschen Lohnstückkosten gegenüber den europäischen Nachbarn innerhalb der Europäischen Währungsunion. Die US-PositionNach 2002 (bis etwa 2011) schwächt sich der US-Dollar gegenüber dem Euro wieder ab und sorgt insgesamt für eine Normalisierung der amerikanischen Position. Doch nach 2013 bewegt sich der reale Wechselkurs des Dollar wieder in Richtung Aufwertung. Deutschland dagegen bleibt wegen seiner realen Abwertung gegenüber den Europartnern auch gegenüber den USA im Vorteil – und zwar ganz unabhängig von der jüngsten Schwäche des Euro und der Stärke des Dollar. Die jüngste Stärke des Dollar, die hier nur am Rande in einer Aufwertung zu sehen ist und die sich Ende 2016 noch einmal verstärkt hat, bringt den Greenback klar in eine Region, in der man Überbewertung vermuten muss. Im Schatten des EuroVergleicht man Deutschland mit Frankreich, ist es unbestreitbar, dass Deutschland sich sozusagen im Schatten des Euro durch seine reale Abwertung gegenüber den anderen Euro-Partnern einen Vorteil auch gegenüber Ländern wie den USA und Großbritannien verschafft hat. Der Euro kann bei allen Unzulänglichkeiten des Währungssystems immer nur die Schwäche der gesamten Union widerspiegeln. Hinter der Durchschnittsbewertung für die gesamte Währungsunion kann sich schließlich auch ein so großes Land wie Deutschland verstecken. Es hat ja keine Aufwertung seiner nationalen Währung zu fürchten, die nur seine eigene Wettbewerbsfähigkeit und sonst nichts widerspiegelt.Wer einen freien internationalen Handel mit dem Argument verteidigt, er bringe allen Beteiligten Vorteile, muss zur Kenntnis nehmen, dass das letztlich nicht stimmt, wenn es bedeutende Überschüsse und anhaltende Defizite gibt. Die klassischen Ökonomen, die den Freihandel gegen die Merkantilisten mit dem Prinzip der komparativen Kosten verteidigten, wussten das sehr genau. Ein Land, das Jahr für Jahr höhere Überschüsse im Außenhandel einfährt, schädigt die Handelspartner unmittelbar und verstößt eklatant gegen das Prinzip der komparativen Vorteile.David Ricardo und alle klassischen Ökonomen in seiner Tradition waren fest davon überzeugt, dass – und nur deswegen war ihre These von den komparativen Kosten so attraktiv – es niemals auf Dauer hohe Defizite und Überschüsse im internationalen Handel geben darf. Sie glaubten an einen automatischen Ausgleich solcher Salden durch den Goldmechanismus oder Specie-Flow-Mechanism, der von David Hume entwickelt worden war. Dieser würde dafür sorgen, dass ein Land, das hohe Überschüsse erzielte und damit im Rahmen des Goldstandards hohe Goldzuflüsse verzeichnet, rasch zu einem Ausgleich seines Handels gezwungen würde, weil (quantitätstheoretisch) die Preise im Überschussland stärker steigen würden als in den Defizitländern. Das würde, so die Vorstellung, den Vorteil des Überschusslandes rasch wieder zunichtemachen.Zu glauben, man könne mit den Vorteilen des freien Handels argumentieren, sich aber gleichzeitig merkantilistisch verhalten, kann auf Dauer nicht gutgehen. Die Merkantilisten waren die ärgsten Gegner der klassischen Freihändler, weil sie eben keinen Ausgleich im Handel suchten, sondern einseitig Gewinne aus dem internationalen Handel einfahren wollten – exakt so wie die “Exportnation” Deutschland.—-*) Der Autor ist Publizist, war bis 2012 Chefvolkswirt der UN-Handelsorganisation Unctad und in den Jahren 1998/1999 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. —-Bisher erschienen:- Teil 1: Ökonomie zwischen Nationalismus und Protektionismus (14.3.)- Teil 2: Interview mit Julian Nida-Rümelin: Märkte entwickeln eine zerstörerische Kraft (15.3.)- Teil 3: Marktwirtschaft und Demokratie – Die Werte des Westens (16.3.)- Teil 4: Exportüberschüsse haben Berlin in eine heikle Lage manövriert (22.3.)