DIE US-ZINSWENDE UND IHRE FOLGEN

Fed lässt Märkte im Dunkeln tappen

Mangelnde Klarheit über weiteren geldpolitischen Kurs der US-Notenbank sorgt für Irritation - Erste Zinssenkung seit 2008

Fed lässt Märkte im Dunkeln tappen

Die US-Notenbank Fed hat erstmals seit der Weltfinanzkrise 2008 ihren Leitzins gesenkt. Hintergrund sind nicht zuletzt die schwelenden Handelskonflikte der USA, vor allem mit China. Wie aber geht es jetzt für die Fed weiter? Und welche Implikationen hat der Schritt für andere Zentralbanken weltweit?Von Peter De Thier, WashingtonDer Kurswechsel ist perfekt. Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren hat der Offenmarktausschuss (FOMC) der US-Notenbank den Leitzins herabgesetzt – auf das neue Zielband von 2,0 % bis 2,25 %. Überraschend ist die Entscheidung keineswegs, im Gegenteil: Einige Experten hatten ebenso wie US-Präsident Donald Trump sogar gehofft, dass das Lenkungsgremium die Federal Funds Rate um 50 statt 25 Basispunkte heruntersetzen würde.Wie aus der Abschlusserklärung des FOMC und Powells Ausführungen bei der anschließenden Pressekonferenz unmissverständlich hervorging, stand ein solcher Schritt aber zu keinem Zeitpunkt ernsthaft zur Debatte. Vor dem Hintergrund der insgesamt positiven Bewertung der konjunkturellen Lage und der künftigen Aussichten scheint zudem die Wahrscheinlichkeit gesunken zu sein, dass im September mit einer weiteren Lockerung zu rechnen ist.Vieles von dem, was Powell sagte und was in der Erklärung stand, war nicht neu. Betont wurden der weiterhin starke Arbeitsmarkt, die solide Zahl von Neueinstellungen, das moderate Wirtschaftswachstum und der ermutigende Anstieg der privaten Konsumausgaben.Gleichwohl habe die weltgrößte Volkswirtschaft mit Gegenwind zu kämpfen, betonte die Fed. Die Unternehmensinvestitionen enttäuschten weiterhin, und die Schwäche in der Industrie bereitet der Fed Sorgen. Problematisch ist aus Powells Sicht insbesondere die “globale Situation”.Gemeint sind sowohl das schwächere Wachstum in anderen Ländern als auch die andauernden Handelskonflikte, gegen welche man “eine Versicherung” brauche, sagte der Fed-Chef. Rätsel gibt den Währungshütern offenkundig auch der geringe Inflationsdruck auf. So betonte Powell, dass sich die Kernteuerungsrate mit 1,6 % weiterhin unterhalb des 2-Prozent-Inflationsziels der Notenbank bewegt.Zu jenen bekannten Argumenten gesellten sich aber mehrere Ausführungen, die prompt Nervosität an den Märkten auslösten. So betonte Powell, dass es sich bei der monetären Lockerung in erster Linie um eine “mittelzyklische Anpassung” gehandelt habe. Zwar werde die Fed auch weiterhin angemessene Schritte unternehmen, um die wirtschaftliche Expansion zu stützen. Gleichwohl wolle er “deutlich sein, es handelt sich nicht um den Beginn einer langen Serie von Zinssenkungen”. Mit diesen Worten signalisierte der Fed-Vorsitzende, dass seine Vorstellungen und die der Märkte, von Trump ganz zu schweigen, durchaus divergieren. Der Präsident zögerte folglich auch nicht, seinem Zorn über die Aussagen freien Lauf zu lassen. Die Märkte hätten hören wollen, dass es sich um “den Beginn eines langen und aggressiven Zinssenkungszyklus” handelt, nur so könne man mit China und Europa Schritt halten, schrieb Trump auf Twitter und ergänzte: “Wie immer, Powell hat uns im Stich gelassen.” Kritik an Kommunikation Unter Analysten gehen die Meinungen über den Fed-Entscheid und die Powell-Aussagen auseinander. Nach Ansicht von John Briggs, Head of Strategy bei Natwest Markets, sei Powell “verwirrend gewesen, und wir haben bei dieser Fed das andauernde Ringen um Kommunikation und Transparenz”. Laut Briggs ist die Wahrscheinlichkeit, dass das FOMC nächsten Monat den Leitzins ein weiteres Mal senkt, nun geringer als 50 %. Bestätigt fühlen sich einige Ökonomen in dieser Annahme, weil zwei stimmberechtigte Mitglieder des Lenkungsgremiums, nämlich Eric Rosengren, Präsident der regionalen Federal Reserve Bank von Boston, und Kansas-City-Fed-Präsidentin Esther George gegen die Zinssenkung votierten.Diane Swonk, Chefvolkswirtin beim Wirtschaftsprüfungsunternehmen Grant Thornton, sagte, es sei “beunruhigend”, wie oft Powell die Worte “unsicher” oder “ich weiß nicht” benutzt habe. In dieselbe Richtung argumentierte Mark Cabana von Bank of America Merrill Lynch. Die Märkte hätten mehrere Senkungen erwartet und seien nun “sehr verunsichert”. Das sei “auch nicht gut mit Blick auf das Ziel der Fed, den Aufschwung fortzusetzen”.Nick Maroutsos, Co-Head of Global Bonds bei Janus Henderson Investors, sagte, die Fed könne “angesichts anhaltend niedriger Anleiherenditen, schwacher Inflation und eines verlangsamten Wachstums der Weltwirtschaft gezwungen werden, noch viele weitere Kürzungen vorzunehmen”. Andere Beobachter stellen sich dagegen vielmehr die Frage, warum Powell und Co. trotz langsam steigender Inflation und einer insgesamt gesunden Wirtschaft jetzt den Leitzins herabsetzten. “Ich hätte von einer Zinssenkung abgeraten”, sagte Steve Ricchiuto, Ökonom beim Wertpapierhaus Mizuho Securities USA: “Erreicht wird nämlich dadurch nur eine Inflation an den Finanzmärkten, und das ist so ziemlich das Letzte, was die Fed anstreben sollte.”Unterm Strich ließ US-Notenbankchef Powell jedenfalls offen, ob und wann mit der nächsten Herabsetzung des Leitzinses zu rechnen ist. Wie aus dem Fed Watch Tool der Options- und Terminbörse CME Group hervorgeht, liegt die Wahrscheinlichkeit einer Senkung um weitere 25 Basispunkte bei der September-Sitzung immerhin noch bei mehr als 56 %.