Fed-Vize verteidigt Strategieschwenk

Notenbanker Clarida betont, dass Vollbeschäftigung nicht zu Zinserhöhungen führen muss

Fed-Vize verteidigt Strategieschwenk

US-Notenbankchef Jerome Powell hat vergangene Woche in Jackson Hole einen historischen Kursschwenk in der Fed-Strategie angekündigt. Das wirkt bei Finanzmarktteilnehmern und Volkswirten immer noch nach – und stößt teils auf viel Kritik. Powells Vize Richard Clarida verteidigt die Neuerungen nun.det Washington – Der stellvertretende US-Notenbankchef Richard Clarida hat den viel kritisierten Strategieschwenk bei der Fed verteidigt. Veränderte ökonomische Rahmenbedingen, insbesondere das Absinken des neutralen Zinssatzes, und die von der Coronakrise ausgelöste Rezession hätten den Schritt nötig gemacht, so Clarida gestern bei einem Auftritt vor dem Peterson Institute for International Economics in Washington.Vergangene Woche hatte US-Notenbankchef Jerome Powell einen historischen Kurswechsel in der Geldpolitik angekündigt, damit an den Weltmärkten heftige Reaktionen ausgelöst und Kritik seitens vieler Experten geerntet. Unter anderem strebt die Fed mehr Flexibilität bei der Erreichung ihres Inflationsziels von 2 % an.Clarida bemühte sich nun, den überarbeiteten Zielkatalog, der alle fünf Jahre aktualisiert werden soll, zu rechtfertigen. Zwar habe das seit 2012 geltende Inflationsziel den Währungshütern geholfen, nach der globalen Finanzkrise ihr duales Mandat von Vollbeschäftigung und Geldwertstabilität zu realisieren. Ohne den Kursschwenk, so der Fed-Vizechef, wäre die US-Wirtschaft aber jetzt dem Risiko ausgesetzt, ähnlich wie Japan in eine längere Phase schwachen Wachstums abzugleiten.Den Anstoß für die Flexibilisierung ihrer Zielvorgaben gab nach Darstellung Claridas insbesondere der deutliche Rückgang des neutralen Zinssatzes, der während der vergangenen acht Jahre zu beobachten war. Demnach habe der neutrale Satz 2012 bei etwa 2,25 % gelegen, welches einem Tagesgeldsatz von 4,25 % entsprach. Zwischenzeitlich sei der neutrale Zins nach Schätzungen der Fed aber auf 0,5 % gesunken. Geringer Handlungsspielraum Dies erhöhe zum einen die Wahrscheinlichkeit, dass eine Rezession niedrigere Inflation nach sich ziehe und umso schwerer auf dem Arbeitsmarkt laste. Die wichtigste Konsequenz für die Fed bestehe darin, dass der zinspolitische Spielraum erheblich eingeengt werde. Folglich bekräftigte Clarida die Bereitschaft der Währungshüter, auch weiter ihr gesamtes geldpolitisches Instrumentarium, einschließlich Anleihenkaufprogramme und anderer unkonventioneller Maßnahmen, einzusetzen.Besonderen Wert legte der Stellvertreter von Notenbankchef Powell auf die Feststellung, dass wichtige Komponenten des bisherigen Rahmenwerks auch nach dem Strategieschwenk beibehalten würden. So habe das Inflationsziel von 2 % deswegen nach wie vor Gültigkeit, weil es langfristig als Garant für Vollbeschäftigung und stabile Preise angesehen werde. Zudem werde man wie auch bisher darauf verzichten, wegen der strukturellen Veränderungen, denen der Arbeitsmarkt unterliegt, Vollbeschäftigung mit einem numerischen Ziel zu versehen.Neu sei als Ergebnis der Überarbeitung, welche im Offenmarktausschuss (FOMC) bereits 2019 begonnen hatte, die Flexibilität bei der Erreichung des Inflationsziels. Bisher habe die Annahme gegolten, dass die Fed 2 % als Oberziel ansieht und während eines Abschwungs die Unterschreitung dieser Marke zulassen würde. Nun werde man, wenn die Teuerungsrate sich für längere Zeit unter 2 % bewegt, dann ebenfalls für einige Zeit ein “moderates Überschreiten” der Schwelle dulden.Eine bedeutende Wende stellt auch die “breiter angelegte und inklusive” Betrachtung des Arbeitsmarkts dar. Neben der Erwerbslosenquote werde man Unterindikatoren wie die Partizipationsrate und angesichts des immer tieferen Gefälles auch die Einkommensverteilung in Betracht ziehen. Auch behalte man sich vor, proaktive Schritte zur Kontrolle der Zinskurve (“Yield Curve Control”) zu unternehmen.