ANSICHTSSACHE

Finger weg vom Bargeld!

Börsen-Zeitung, 19.4.2019 "Vertrauen kommt zu Fuß und geht zu Pferd", besagt ein niederländisches Sprichwort. Es mahnt, dass es lange dauert und nachhaltiger Leistung bedarf, um Vertrauen und eine Reputation aufzubauen. Beides kann aber in...

Finger weg vom Bargeld!

“Vertrauen kommt zu Fuß und geht zu Pferd”, besagt ein niederländisches Sprichwort. Es mahnt, dass es lange dauert und nachhaltiger Leistung bedarf, um Vertrauen und eine Reputation aufzubauen. Beides kann aber in Windeseile verspielt werden.Diese Erkenntnis mögen sich die Politiker vielerlei Couleur in Erinnerung rufen, die derzeit am Vertrauen in die Währungen ihrer Länder zündeln. Die Konsequenz, mit der seit einiger Zeit Kampagnen gegen Bargeld geführt werden, und die Kreativität der Vorschläge kann man sich als Staatsbürger für andere politische Projekte nur wünschen! Nichts ist sakrosankt: Höchstgrenzen bei der Barzahlung, keine kleinen Münzen, keine großen Scheine; das Bezahlen mit dem 200-Euro-Schein an einer Tankstelle gleicht mittlerweile einem Bitt- und Bußgang nach Canossa. Und nun: Überlegungen zur Besteuerung von Bargeldhaltung oder gar zu dessen Abschaffung. Negativzins widernatürlichWas ursprünglich tendenziell aus der Ecke technikaffiner Fans von Digital- und Kryptowährungen kam, scheint mittlerweile bei den Zentralbanken angekommen zu sein. Anders lässt sich nämlich nicht erklären, dass sich mit der US-Notenbank (Fed), der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) gleich drei institutionelle “Dickschiffe” in Arbeitspapieren mit dem Thema Negativzinsen beschäftigt haben und damit implizit auf Konfrontationskurs zum Bargeld gegangen sind.So setzten sich Fed und EZB im jüngsten Winterhalbjahr mit der Angemessenheit von Negativzinsen in Vergangenheit und Gegenwart auseinander. In einer Zeit, in der sich die Anzeichen eines wirtschaftlichen Abschwungs mehren, lässt dies – neudeutsch Framing, altdeutsch Gehirnwäsche genannt – aufhorchen. Denn beide Zentralbanken haben sich in den wirtschaftlich günstigen Jahren seit 2015 zu wenig am “Eichhörnchenprinzip” orientiert. Sprich: Sie haben kaum Zinsvorrat für einen konjunkturellen Winter angesammelt. Die Fed Funds Rate liegt aktuell bei 2,25 bis 2,50 %. Die Erfahrung aus der Vergangenheit deutet aber darauf hin, dass in einer Rezession reichlich vier Prozentpunkte an Zinssenkungen benötigt werden, um substanziell gegenhalten zu können. Von der EZB ganz zu schweigen: In der Eurozone liegt der Leitzins weiter bei 0 %.Offensichtlich sollen die Märkte daher mittels der jüngsten Studien auf die Normalität von – eigentlich widernatürlichen – Negativzinsen vorbereitet werden. Nach herrschender Lesart gibt es jedoch eine Art untere Grenze, die sogenannte Lower Bound. Sie wird gemeinhin auf minus 2 % taxiert. Die Überlegung dahinter: Ab einer bestimmten Höhe der Besteuerung von Bankeinlagen – und um nichts anderes handelt es sich ökonomisch gesehen bei Negativzinsen – wird die Bargeldhaltung zunehmen: Die Leute heben ihr Geld ab und horten es zu Hause; institutionelle Investoren bauen möglicherweise sogar Geldspeicher. Weitere Zinssenkungen verpuffen damit quasi wirkungslos. Liquiditätsfalle 2.0Mit anderen Worten: Bei Minuszinsen beeinträchtigt die Alternative der Bargeldhaltung die Möglichkeiten der Geldpolitik. Diese Bargeldfalle ist eine Art Keynes’sche Liquiditätsfalle 2.0. Von daher ist es eigentlich nur konsequent, letztlich aber auch erschreckend, wenn von Institutionen wie dem IWF darüber sinniert wird, wie den Bürgern ebendiese Alternative vermiest werden kann. In einem IWF-Arbeitspapier wurde im August letzten Jahres diskutiert, dass mittels vorgeschriebener Gebühren für den Umtausch von Buch- in Bargeld die Zinsuntergrenze umgangen werden könnte. Das um 1900 von Silvio Gesell ins Spiel gebrachte, aber eher als Schnapsidee wahrgenommene Schwundgeld feiert fröhliche Urständ! Andere gehen sogar noch weiter und schlagen die gänzliche Abschaffung von Bargeld vor. Zum Beleg der Machbarkeit wird dabei häufig auf Schweden verwiesen, wo mobile Zahlungsmethoden die Bargeldnutzung in den letzten Jahren merklich zurückgedrängt haben. Spiel mit dem FeuerDoch Obacht: Nicht alles, was machbar ist, ist auch ratsam! Den vielzitierten Vorteilen einer Bargeldabschaffung – Modernität, Effizienz, Kriminalitätsbekämpfung – stehen etliche Nachteile gegenüber: Dies fängt an beim generationenübergreifend Edukativen – Wert(e)vermittlung in der Familie per Taschengeld und Monopoly-Spiel – und geht über das Vorsichtsprinzip – Vermeidung einer kompletten Abhängigkeit von Technik und Elektrizität – bis hin zur politphilosophischen Grundfrage, ob in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung wirklich jede finanzielle Transaktion dokumentiert sein muss. Wie stellte schon Dostojewski fest: (Bar-)Geld ist geprägte Freiheit.Vor allem sei Gedankenspielern aber in Erinnerung gerufen, dass unser heutiges Fiat-Geldsystem auf Zahlungsmitteln ohne originären intrinsischen Wert basiert. Dies ist der zentrale Unterschied zum Warengeld oder zur ewigen Ersatzwährung Gold. Vorteile sind die preisgünstige Notenherstellung und der Umstand, dass der Geldschöpfung theoretisch keine Grenzen gesetzt sind. Für die Funktionsfähigkeit dieses Systems und damit für die Akzeptanz des Geldes kommt es daher fundamental auf das Vertrauen der Nutzer in ihr Geld an.Und genau dieses Urvertrauen droht durch “normale” Negativzinsen und Entwertung von Bargeld Schaden zu nehmen. Wenn der Emittent einer Währung selbst aktiv gegen eine der Grundfunktionen des Geldes wie die Wertaufbewahrung vorgeht, dann spielt er mit Blick auf das Vertrauen in Institution und Geld letztlich mit dem Feuer. Reflexartig hat man als Frankfurter den Struwwelpeter und “Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug” vor Augen: “Paulinchen war allein zu Haus …” Daher muss gelten: Finger weg vom Bargeld!—-Ingo R. Mainert ist CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Ingo R. MainertNegativzinspolitik und Beschränkung der Bargeldhaltung setzen das Vertrauen der Bürger in Institution und Geld aufs Spiel. —–