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Fiskalunion ist kein Schlüssel für eine stabile Eurozone

Börsen-Zeitung, 11.9.2015 Die Auseinandersetzungen um das dritte Hilfsprogramm für Griechenland haben die Debatte über institutionelle Reformen in der Eurozone befördert. Von verschiedenen Seiten wird nun die Errichtung einer Fiskalunion gefordert,...

Fiskalunion ist kein Schlüssel für eine stabile Eurozone

Die Auseinandersetzungen um das dritte Hilfsprogramm für Griechenland haben die Debatte über institutionelle Reformen in der Eurozone befördert. Von verschiedenen Seiten wird nun die Errichtung einer Fiskalunion gefordert, die durch Finanztransfers an die Mitgliedstaaten eine integrierte Fiskalpolitik ermöglichen soll. Dieser Vorschlag ist allerdings nicht neu. Schon in den 1970er Jahren wurde die Schaffung einer “konjunkturellen Konvergenzfazilität” diskutiert. Auch in den 1990er Jahren wurde argumentiert, dass in der Währungsunion eine zentrale fiskalische Institution fehlt, die unterschiedliche Entwicklungen in den Mitgliedstaaten abfedert.Die Fiskalpolitik in der Eurozone erfolgt heute dezentral auf nationaler Ebene. Die Mitgliedstaaten haben sich zwar auf Grenzwerte für Defizit und Schuldenstand geeinigt. Letztlich entscheiden sie aber eigenständig, und das Recht der Parlamente, über die Höhe der Ausgaben und deren Finanzierung zu beschließen, ist Ausdruck der nationalen Souveränität. Eine fiskalische Stabilisierung auf zentraler Ebene erfolgt nur indirekt über den EU-Haushalt, da die Beiträge der Mitgliedstaaten sich am Bruttonationalprodukt ausrichten.Als die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 über die Eurozone hereinbrach, konnte ein stärkerer Abschwung auch mit den Mitteln der Fiskalpolitik abgewendet werden. Trotz großer Haushaltsdefizite blieb die wirtschaftliche Erholung in einzelnen Ländern jedoch aus. Hierfür sind vor allem drei Gründe zu nennen. Erstens wurden für die Stützung des Bankensektors erhebliche öffentliche Mittel bereitgestellt. Zweitens hatten sich innerhalb der Währungsunion große Ungleichgewichte in der Leistungsbilanz aufgebaut. Drittens kamen im Zuge der Krise Zweifel an der Tragfähigkeit der Verschuldung einzelner Mitgliedstaaten auf.Verschiedene Reformen wurden inzwischen in Angriff genommen. Im Hinblick auf die Stabilität des Bankensektors ist die Bankenunion zu nennen. Mit Strukturreformen wird versucht, die zweite Ursache für die Instabilität der Eurozone zu adressieren. Zur Bekämpfung der dritten Ursache der Instabilität setzt die Eurozone bislang darauf, die Tragfähigkeit der Verschuldung durch Konsolidierung bei gleichzeitiger Gewährung von Anpassungshilfen wiederherzustellen. Stabilität in der FöderationAusgangspunkt für die weiter gehenden Vorschläge für eine Fiskalunion ist das Beispiel von Föderalstaaten, in denen wichtige Aufgaben einer zentralen Ebene übertragen sind, die sich durch eigene Steuern und Staatsanleihen finanziert. So entsteht die Möglichkeit für eine zentrale Fiskalpolitik. Wie viele Negativbeispiele belegen, ist es für die Stabilität eines jeden föderalen Ordnungsrahmens allerdings unabdingbar, dass die Konsequenzen ihrer Politik von jeder Ebene selbst verantwortet werden. Daher wird die zentrale Fiskalpolitik in stabilen Föderationen begleitet von institutionellen Regeln, die den Ordnungsrahmen absichern.Von besonderer Bedeutung ist dabei die Kompetenzaufteilung zwischen den staatlichen Ebenen. Besonders Aufgabenbereiche, deren Erfüllung von übergeordneter Bedeutung ist, werden zentralisiert. So ist die zentrale Ebene bei einer Haushaltskrise in einem Mitgliedstaat nicht gezwungen, durch einen “Bail-out” übergeordnete Ziele zu sichern. Ein klassisches Beispiel ist die Verteidigung: Obliegt die Verteidigung den Mitgliedstaaten, könnte eine Haushaltskrise die äußere Sicherheit beeinträchtigen. Bei Zentralisierung der Verteidigung hätte die Haushaltskrise keinen Effekt auf die Sicherheit und die Föderation müsste nicht zwingend einspringen. Auch sind die Möglichkeiten der Bundesstaaten für eine eigene Stabilisierungspolitik meist begrenzt. Indem z. B. die US-Notenbank in ihre Offenmarktgeschäfte zwar Anleihen des Bundes, nicht aber Anleihen der Bundesstaaten einbezieht, können die Anleger bei diesen Anleihen nicht auf eine Sicherung der Zahlungsfähigkeit durch die Zentralbank setzen. Doppelung von KompetenzDas Fehlen solcher oder anderer Regelungen zur Absicherung des Ordnungsrahmens der Eurozone ist in den Auseinandersetzungen über die Hilfsprogramme für Griechenland allzu deutlich geworden. Umso dringlicher ist es, geeignete institutionelle Reformen vorzunehmen. Der Vorschlag zur Fiskalunion geht indes in die entgegengesetzte Richtung. Er beinhaltet eine Dopplung von Kompetenzen auf nationaler und supranationaler Ebene und sieht vor, die Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten aus einem zentralen Topf zu unterstützen und zu ergänzen.Da die Kompetenzen für wesentliche Bereiche der Finanzpolitik bei den Mitgliedstaaten liegen, erscheint es abwegig, Finanztransfers an die konkrete Entwicklung der Einnahmen oder Ausgaben der nationalen Haushalte zu knüpfen. So liefe es wohl darauf hinaus, anhand gesamtwirtschaftlicher Indikatoren auf die konjunkturelle Entwicklung abzustellen. Sieht man von Fällen mit mangelnder Tragfähigkeit der Verschuldung ab, können die Mitgliedstaaten auch unter den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes konjunkturbedingte Schwankungen im Budget ohne weiteres durch Verschuldung auffangen. Es ist daher unklar, warum sich hier durch die Fiskalunion eine weitere Stabilisierungswirkung einstellen soll.Werden aber Mitgliedstaaten mit mangelnder Tragfähigkeit der Verschuldung durch Finanztransfers ohne Auflagen unterstützt, ist zu befürchten, dass die Kompetenzverflechtung das Interesse der Mitgliedstaaten an einer stabilitätsgerechten Politik weiter untergräbt, und sie veranlasst werden, die langfristige Tragfähigkeit des Haushalts zu vernachlässigen. Für die Stabilität der Eurozone wäre das kontraproduktiv – der Ordnungsrahmen der Eurozone würde nicht gestärkt, sondern weiter strapaziert.—-Prof. Dr. Thiess Büttner lehrt Finanzwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Thiess BüttnerDie Eurozone braucht Regelungen zur Absicherung des Ordnungsrahmens. Die Vorschläge zur Fiskalunion dazu gehen fehl.——-