EU-PARLAMENT

Fliegender Seitenwechsel

Gewiss, es gibt keinen Grund, Menschen Karrieren zu verbauen, nur weil sie zwischenzeitlich ein politisches Amt übernommen haben. Aber es gibt jede Menge gute Gründe, einen fliegenden Seitenwechsel, wie ihn jetzt die liberale Europaabgeordnete...

Fliegender Seitenwechsel

Gewiss, es gibt keinen Grund, Menschen Karrieren zu verbauen, nur weil sie zwischenzeitlich ein politisches Amt übernommen haben. Aber es gibt jede Menge gute Gründe, einen fliegenden Seitenwechsel, wie ihn jetzt die liberale Europaabgeordnete Sharon Bowles hingelegt hat, nicht in Ordnung zu finden. Das geht überhaupt nicht!Die Britin war bis Ende Juni Vorsitzende des Wirtschafts- und Währungsausschusses, in dem alle Gesetzgebungsverfahren für Banken und Börsen verhandelt werden. Nur handgestoppte anderthalb Monate später hat sie nun einen Job als Verwaltungsratsmitglied der London Stock Exchange angetreten. In Brüssel hat dieser gleitende Übergang auf die andere Seite verärgerte Reaktionen ausgelöst. Und das völlig zu Recht.Schließlich ist Bowles nicht irgendwer. Als Ausschusschefin war sie an vertraulichen Schlussverhandlungen beteiligt – unter anderem an der Novelle der Marktrichtlinie, deren Vorgaben ja erst noch von Behörden konkretisiert werden. Sie war zugleich Schattenberichterstatterin – also federführende Expertin – ihrer Fraktion bei den Regelungen für die Zentralverwahrer und über OTC-Derivate und zentrale Gegenparteien.Dass die Londoner Börse in ihrer Pressemeldung über den Neueinkauf aus Brüssel ausdrücklich betont, Bowles habe in ihrer Zeit im Parlament “entscheidenden” Einfluss auf die Finanzmarktregulierung genommen und ihre “Erfahrung und Einblicke” seien “von großem Wert für die Unternehmensgruppe”, liest sich wie eine Provokation. Denn natürlich drängt sich der Verdacht auf, dass die Abgeordnete die noch frischen Kontakte und das noch aktuelle politische Insiderwissen ausnutzen soll, um Durchführungsverordnungen und Anwendung der EU-Vorgaben im Sinne der Londoner Börse zu beeinflussen. Auch stellt sich die Frage, ob Bowles, als sie im Frühjahr Regeln für Märkte und Investoren mitverhandelte, bereits im Hinterkopf hatte, wer sie künftig bezahlt.Für das EU-Parlament ist die Angelegenheit pikant. Denn erneut wird augenscheinlich, dass die Parlamentarier bei der Regulierung von Managergehältern, bei der Vermeidung von Interessenkonflikten oder anderen Wohlverhaltensregeln gerne streng sind, aber es recht locker nehmen, wenn es um sie selbst geht. Der Fall Bowles ist ein erneuter Anlass, endlich verbindlich zu vereinbaren, dass Europaabgeordnete – wie EU-Kommissare – eine Zwangspause einlegen müssen, damit ihre Gesetzgebungstätigkeit und ihre anschließende Lobbyarbeit nicht miteinander verschwimmen.