LEITARTIKEL

Föderales Königreich

Business as usual. Die Entscheidung der Schotten gegen die Unabhängigkeit wird mancherorts dahingehend interpretiert, dass auf der Insel nun alles wieder seinen gewohnten Gang gehen wird. Was der britische Premierminister David Cameron am Morgen...

Föderales Königreich

Business as usual. Die Entscheidung der Schotten gegen die Unabhängigkeit wird mancherorts dahingehend interpretiert, dass auf der Insel nun alles wieder seinen gewohnten Gang gehen wird. Was der britische Premierminister David Cameron am Morgen nach der Abstimmung der Nation mitzuteilen hatte, war allerdings Beleg dafür, dass es sich dabei um Wunschdenken handelt. Schon vor dem Referendum hatten die drei großen Westminster-Parteien Schottland für den Fall eines Nein-Votums größere Befugnisse zugestanden. Alex Salmond, der Führer der Ja-Kampagne, hat zwar nicht ausreichend Unterstützung für seine Maximalforderung gefunden, ist aber der eigentliche Gewinner der Debatte, denn er hat London zu Zugeständnissen gezwungen.Großbritannien wird nun zwar weiter Strom aus Schottland kaufen. Auch der Luxusgüterhersteller Burberry wird seine Kaschmirwolle wie zuvor aus den Highlands von Johnstons of Elgin beziehen. Aber “devolution”, wie Dezentralisierung in Großbritannien auch genannt wird, macht nicht an der schottischen Grenze halt. In den vergangenen Wochen wurde verstärkt thematisiert, warum Abgeordnete anderer Regionen über rein englische Belange abstimmen dürfen. Cameron griff den jahrzehntealten Streit in seiner Rede auf und kündigte bis Januar Gesetzentwürfe an, wie künftig auch die englischen Belange berücksichtigt werden sollen – ein Zugeständnis an die Hinterbänkler aus der eigenen Partei, die sich über die vermeintliche Bevorzugung der Schotten beklagt hatten. Und auch die übrigen Regionen und die großen Städte sollen mehr zu sagen haben.Damit steht ein Thema für den kommenden Wahlkampf bereits fest: “devo max” – maximale Dezentralisierung. Selbst im Norden Englands werden mittlerweile Rufe nach mehr Selbstbestimmung laut. Und dabei stehen nicht nur lokale Belange im Blickpunkt. Ob in Cornwall oder Wales: Zumeist geht es auch gegen das verhasste Londoner Establishment, das Cameron emblematisch verkörpert, und gegen die “fetten Katzen” in der City. Ob Cameron solchen Strömungen durch sein Vorpreschen den Wind aus den Segeln nehmen kann, ist mehr als fraglich. Zumal sie für ein Land, das sich mitten in einem wirtschaftlichen Aufschwung befindet, relativ stark sind. Aber auch für Labour ist das Thema heikel, denn in England kommen die Sozialdemokraten nur auf wenige Sitze. Würde separat abgestimmt, könnten die Konservativen durchregieren.Immerhin ist durch das Festhalten der Schotten an der mehr als 300 Jahre alten Union sichergestellt, dass die 2015 anstehenden Wahlen nicht bis nach Vollzug der Trennung verschoben werden müssen. Labour kann sich gute Chancen auf einen Sieg ausrechnen, der bei Verlust der schottischen Mandate unerreichbar gewesen wäre. Ein Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ist dadurch unwahrscheinlicher geworden. Setzt sich Labour durch, wird nicht einmal darüber abgestimmt. Die seit Monaten anhaltende politische Unsicherheit ist damit weitgehend gewichen, die befürchtete Kernschmelze abgewendet. Nachdem Salmond seine Niederlage an den Urnen eingeräumt hat, ist auch nicht zu befürchten, dass das Thema so schnell wieder zur Abstimmung gestellt wird.Für das britische Pfund ging es deshalb am Freitag nach oben – aber nur so weit, wie die Inselwährung nach Bekanntwerden einer Umfrage, die einen Sieg der Nationalisten als reale Möglichkeit hatte erscheinen lassen, abgewertet hatte. Denn die rosarote Brille ist schon vor einer ganzen Weile in der Schublade verschwunden. Die Marktteilnehmer sind zwar erleichtert, aber ihnen scheint auch klar zu sein, dass kein Weg zu den alten Verhältnissen zurückführt. Zudem rückt nun wieder die Frage in den Vordergrund, wann die Bank of England den Zins erhöht. Hätte sich Schottland für einen Alleingang entschieden, wäre das so schnell kein Thema gewesen.Das Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands zeigt, dass man sich in einer reifen Demokratie wie Großbritannien selbst über die Frage nach der Souveränität zivilisiert auseinandersetzen kann. Nun müssen beide Lager wieder zusammenfinden. Die Voraussetzungen sind gut: Die Nationalisten haben bereits umgeschaltet – von “Yes Scotland” zu “One Scotland”. Und London hat bereits einen Zeitplan für die nächsten Schritte der Dezentralisierung vorgelegt. Westminster wird dadurch geschwächt, aber die Regionen werden deutlich gestärkt. Auch wenn Föderalismus auf der Insel für viele ein Unwort ist, zeichnet sich eine Entwicklung vom Vereinigten zum Föderalen Königreich ab.——–Von Andreas HippinGroßbritannien steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Das Nein zur Unabhängigkeit Schottlands ist mit großen Zugeständnissen verbunden.——-