GASTBEITRAG

Folgt die EZB der Schweizer Nationalbank?

Börsen-Zeitung, 1.12.2015 EZB-Präsident Mario Draghi hat es mehr als deutlich gemacht, dass er den Expansionsgrad der Geldpolitik erhöhen möchte. Er wird bei der Suche nach Möglichkeiten, dies zu tun, auch auf die Erfahrungen der Schweizer...

Folgt die EZB der Schweizer Nationalbank?

EZB-Präsident Mario Draghi hat es mehr als deutlich gemacht, dass er den Expansionsgrad der Geldpolitik erhöhen möchte. Er wird bei der Suche nach Möglichkeiten, dies zu tun, auch auf die Erfahrungen der Schweizer Nationalbank (SNB) schauen, die bereits ihre Bilanzsumme seit 2008 viel stärker als die Europäische Zentralbank (EZB) ausgeweitet hat – inzwischen auf mehr als das Fünffache – und dabei auch Aktien kauft. Auszuschließen wären Aktienkäufe auch bei der EZB nicht, da sie ganz direkt die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen verbessern, ohne dass der Kreditkanal der Geldpolitik funktionieren muss. Vor allem aber wird Draghi untersuchen, wie die derzeit bei – 0,75 % liegenden Einlagezinsen der SNB gewirkt haben. Beruhigen wird ihn dabei zunächst, dass der Geldmarkt weiterhin funktionsfähig geblieben ist – eine Befürchtung der EZB, weswegen sie das aktuelle Niveau ihrer Einlagezinsen bis vor kurzem als effektive Untergrenze bezeichnet hatte.Nachahmenswert für die EZB mag eventuell auch der Freibetrag sein, den die SNB den Banken beim negativen Zins gewährt. Fällig werden diese nämlich erst auf den Betrag der Einlagen, der das 20-Fache des Mindestreservesolls übersteigt. Die SNB erreicht damit zweierlei: Zum einen verhindert sie eine zu starke Belastung der Profitabilität des Bankensystems. Zum anderen fördert sie die Liquidität der Geldmärkte, da Banken mit Einlagen über der Freigrenze nun einen Anreiz haben, Liquidität mit denen zu handeln, die noch unter der Freigrenze liegen.Und da der Marktzins sich an den Grenzkosten des Kapitals und nicht am Durchschnittspreis orientiert, schafft sie es trotz der üppigen Ausnahmen einen negativen Zins zu etablieren, der vor allem verhindert, dass zusätzliche Kapitalzuflüsse zu einer stärkeren Währung führen. Für die EZB wäre auch dies ein Königsweg hin zu einer schwächeren Währung. Falls sich die Ausnahmen für die Zahlung des Negativzinses sogar noch an der Loan to Deposit Ratio, also dem Volumen des Kreditbuches einer Bank orientierten, könnte Draghi sogar noch denjenigen Kritikern deutlich negativer Zinsen begegnen, die von ihnen kaum einen Effekt auf die Kreditvergabe der Banken erwarten. Bargeldhaltung steigtUnd dennoch haben auch die negativen Zinsen in der Schweiz Nachteile. So führen sie beispielsweise zu einer Zunahme der Bargeldhaltung, da Anleger die Zahlung negativer Zinsen umgehen wollen. Bereits jetzt bestehen 61 % der umlaufenden Geldmenge aus 1 000-Franken-Scheinen. Und selbst wenn sich damit in der hochpreisigen Schweiz relativ problemlos Einkäufe tätigen lassen, dürfte der Großteil dieser Banknoten nicht für Transaktionszwecke genutzt werden. Schwierig ist es für Banken auch, die Negativzinsen an ihre Privatkunden weiterzureichen. Dies geschieht häufig erst ab sehr hohen Guthaben. Daraus entsteht ein unerwarteter Effekt: Die Hypothekenzinsen steigen. Sie liegen aktuell rund 30 Basispunkte höher als vor Einführung der Negativzinsen. Dies rührt aus der Tatsache, dass Banken beim Durationshedging der langlaufenden Kredite über Swaps die deutlich negativen Geldmarktzinsen einkalkulieren müssen und nicht die höher liegenden Zinsen, die ihre Privatkunden erhalten. Um dennoch kostenneutral zu agieren, kann dies nur durch eine Erhöhung des Hypothekenzinssatzes geschehen. Logische KonsequenzenAufgrund der Komplexität eines gestaffelten Einlagensatzes wird die EZB nächste Woche viel zu diskutieren haben. Auf Basis der Schweizer Erfahrungen würden wir eine allgemeine Senkung des Einlagensatzes auf – 0,3 % gekoppelt mit einer konditionalen Senkung auf bis zu – 0,5 % nicht ausschließen. Gut erklären müsste die EZB allerdings, warum dies überhaupt hilfreich ist. Denn aus Schweizer Perspektive ist auch klar, dass sich einer Währungsaufwertung viele andere eigenständige europäische Zentralbanken entgegenstemmen und ebenfalls ihre Zinsen senken werden. Aus dem gleichen Grund würde vermutlich die Fed weniger Zinserhöhungen im nächsten Jahr durchführen als derzeit geplant. Natürlich bleibt es spannend, auf welche Maßnahmen sich der EZB-Rat einigt. Nur wer sich dabei weitgehend durchsetzt, das dürfte aus den Erfahrungen der Vergangenheit jetzt schon klar sein.—-Karsten Junius, Chefökonom des Bankhauses J. Safra Sarasin