"For the May, not the Many"
Von Andreas Hippin, LondonLuciana Berger hat am Labour-Parteitag in ihrer Heimatstadt Liverpool nur unter Polizeischutz teilgenommen. Sie ist eine der prominentesten jüdischen Abgeordneten der Partei und ist als solche ständig antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. Es sind aber beileibe nicht nur Neonazis, die ihr zu schaffen machen. “Wir erwarten Angriffe der extremen Rechten, das kennen wir”, sagte sie auf einer Veranstaltung am Rande des Parteitags: “Aber in diesem Jahr hat es mehr Angriffe als je zuvor von Linken auf uns gegeben – von Menschen, die vorgeben, die Ideale unserer Partei zu teilen.”Delegierten wurde untersagt, mitgebrachte EU-Fahnen zu schwenken. Als es dagegen um den Nahen Osten ging, verwandelte sich der Saal in ein Meer palästinensischer Fahnen. Unter Parteichef Jeremy Corbyn, der sich einst “geehrt” fühlte, seine “Freunde” von Hamas und Hisbollah im Parlament empfangen zu dürfen, hat der Antisemitismus in der Labour Party einen rasanten Aufschwung genommen. Dabei handelt es sich keineswegs nur um die auch in Deutschland beliebte “Israel-Kritik”. Corbyns Ausspruch, die “Zionisten” könnten “englische Ironie nicht verstehen, selbst wenn sie viele Jahre, vielleicht sogar ihr ganzes Leben in diesem Land gelebt haben”, geht viel weiter. Andere unterstellen, dass die Loyalität ihrer jüdischen Mitbürger dem Staat Israel gelte, sie also keine richtigen Briten seien. Das alles wird mit den üblichen Verschwörungstheorien über die Macht des Finanzjudentums zu einer giftigen Mischung verquirlt, die drei jüdische Zeitungen Ende Juli dazu veranlasste, vor “einer existenziellen Bedrohung des jüdischen Lebens in diesem Land” zu warnen, sollte Corbyn die Macht übernehmen.”For the Many, not the Jew” stand in Anlehnung auf Corbyns Slogan “For the Many, not the Few” auf den Plakaten jüdischer Demonstranten, als die Parteiführung darüber debattierte, warum Teile der von der International Holocaust Remembrance Alliance erarbeiteten Arbeitsdefinition für Antisemitismus von Labour nicht übernommen wurden. Wie die Partei mit dem Thema umgeht, weckt Zweifel an ihrer Regierungsfähigkeit.Realitätsferne trat aber allerorten zutage. Das Thema Brexit machte deutlich, dass in dieser Frage auch durch Labour ein tiefer Riss geht. Laura Smith, die für den Wahlkreis Crewe und Nantwich im Unterhaus sitzt, forderte ihre Genossen auf einer Veranstaltung der Corbyn-Fanbewegung Momentum auf, alles zu tun, um diese “grausame und kaltschnäuzige” Tory-Regierung zu Fall zu bringen. “Und wenn wir keine Neuwahlen erreichen können, sollten wir uns mit unseren Brüdern und Schwestern in der Gewerkschaftsbewegung organisieren, um dieser Regierung durch einen Generalstreik ein Ende zu setzen.” Momentum erinnert an die trotzkistische Putztruppe Militant, deren Anhänger in den 1980er-Jahren vom damaligen Parteichef Neil Kinnock ausgeschlossen wurden. Corbyn verdankt dagegen seine Machtposition Momentum. Abgeordnete und Funktionäre, die seinen Verbalradikalismus ablehnen, müssen um ihre Ämter fürchten. Der Slogan dafür müsste eigentlich “For the May, not the Many” heißen.—–Antisemitismus und radikale Parolen wecken Zweifel an Corbyns Regierungsfähigkeit.—–