LEITARTIKEL

Formel für das Wachstumsziel

Chinas Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um 6,7 % gewachsen. Ob das nun viel oder wenig ist, hängt vom Blickwinkel ab. Historisch gesehen ist die Expansionsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fast schon eine Kümmerlichkeit beziehungsweise die...

Formel für das Wachstumsziel

Chinas Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um 6,7 % gewachsen. Ob das nun viel oder wenig ist, hängt vom Blickwinkel ab. Historisch gesehen ist die Expansionsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fast schon eine Kümmerlichkeit beziehungsweise die niedrigste seit 25 Jahren. Da China mittlerweile allerdings zur weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft herangereift ist und Wachstumsraten jenseits von 5 % in den führenden Industrienationen schon lange außer Reichweite liegen, nimmt der Beitrag Chinas zur globalen Wirtschaftsleistung weiter zu. Er dürfte für 2016 bei knapp einem Drittel gelegen haben. Relativ gese-hen nimmt die Bedeutung Chinas als globale Wachstumslokomotive auch bei einer Fortsetzung des konjunkturellen Abkühlungstrends also weiter zu.Die Regierung in Peking hat sich damit abgefunden, dass man auf einen etwas bescheideneren und nachhaltigeren Expansionspfad einschwenken muss, und bezeichnet dies als “neues Normalwachstum”. Sie geht aber weiterhin davon aus, dass es auch in mittlerer Frist gelingen wird, eine 6 vor dem Komma zu erreichen. Für den bis Ende 2020 laufenden Fünfjahresplan ist ein durchschnittliches jährliches Wachstum von mindestens 6,5 % die Zielvorgabe und das Maß der Dinge.Peking wird allein schon deshalb die Messlatte hoch lassen wollen, weil man befürchtet, dass mit einer deutlichen Herabsetzung von Wachstumszielen der Druck auf die Wirtschaftsplaner der einzelnen Provinzen nachlässt und weniger ambitionierte Vorgaben sich als eine Art selbsterfüllende Prophezeiung erweisen. Auf der anderen Seite aber dämmert es den Konjunkturlenkern, dass man sich im schwierigen Abgleich von monetären und fiskalischen Stimulierungsmaßnahmen und der Durchsetzung von Strukturreformen, die kurzfristig eher Wachstumspunkte kosten, mit allzu rigiden Vorgaben keinen Gefallen tut.Zu Beginn vergangenen Jahres befand sich die Finanzwelt in hellster Aufregung, weil man davon ausging, dass sich Chinas Wachstumsziel für 2016 nie und nimmer erreichen lassen würde. Schließlich ist es dann doch anders gekommen. Eine zeitweilige Immobilienhausse und ein starkes Ankurbeln der Kreditvergabe haben im Tandem mit einer Erholung von Rohstoffpreisen wesentlich dazu beigetragen, dass Chinas BIP-Wachstum recht unauffällig im vorgegebenen Korridor zwischen 6,5 % und 6,7 % geblieben ist.Nun da im Schlussquartal 2016 sogar eine Wachstumsbeschleunigung auf 6,8 % zustande kam, sieht man derzeit wenig Unruhe an den Märkten über Chinas Konjunkturperformance. Das könnte sich aber schon bald wieder ändern. Die Immobilienhausse ist wegen der Gefahr von Preisblasen von der Regierung selber mit Restriktionen am Wohnungsmarkt wieder abgewürgt worden. Die ausufernde Verschuldungsproblematik im Finanz- und Unternehmenssektor schreit förmlich nach gedrosseltem Kreditwachstum und einem Verzicht auf allzu offensichtliche monetäre Impulse. So macht auch die Zentralbank erste Anstalten, die Zügel am Geldmarkt zu straffen.Vor diesem Hintergrund ist eine zumindest schleichende weitere Abkühlung programmiert. Nun sollte die Regierung eine Formel finden, mit der die ungebührliche Dramatik einer leichten Verfehlung von Wachstumszielen entschärft wird. Damit verbietet sich eine Beibehaltung des letztjährigen Wachstumsziels von 6,5 bis 7 %, denn es wird bereits deutlich, dass man gerade so den unteren Rand schaffen kann. Damit würde sich Peking einer eigentlich unnötigen Zitterpartie aussetzen, die auf eine erneute verbissene Stimulierungspartie hinausläuft. Der Staatsrat hat bei der Formulierung von wirtschaftspolitischen Prioritäten für 2017 die Bekämpfung von Vermögenspreisblasen und Finanzrisiken ganz nach oben gesetzt, was sicherlich begrüßenswert ist. Will man damit Ernst machen, darf man umgekehrt aber auch nicht versuchen, erneut das Letzte an Wachstumspunkten herauszukitzeln.Mittlerweile deutet sich tatsächlich an, dass die Regierung das Wachstumsziel für 2017 mit einer Formulierung versehen wird, die auf “etwa 6,5 %” hinauslaufen wird. Das würde dann signalisieren, dass eine Unterschreitung der im Fünfjahresplan postulierten Durchschnittsmarke kein Beinbruch ist und auch das Ausland nicht nervös machen muss. Abgesehen davon kann ein bisschen mehr Spielraum bei der Erwartungssteuerung zu Chinas Konjunktur allein schon mit Blick auf zu erwartende handelspolitische und andere Streitigkeiten mit der neuen US-Regierung um Donald Trump sicher nicht schaden.——–Von Norbert HellmannPeking muss eine neue Formel für das Wachstumsziel finden. Nur so lässt sich unnötige Dramatik um den laufenden konjunkturellen Abkühlungsdruck verhindern.——-