Fragezeichen am US-Arbeitsmarkt
Von Peter De Thier, Washington
Ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie in den USA driften die Analysen über die Aussichten für den Arbeitsmarkt auseinander. Viele Experten heben die Erholung hervor und warnen vor zunehmendem Inflationsdruck. Andere, unter ihnen Fed-Chef Jerome Powell, schätzen die Beschäftigungslage vorsichtiger ein. Folglich sah die Fed bisher keinen Anlass, von ihrer sehr lockeren Geldpolitik abzurücken. Die bevorstehende Sitzung des Offenmarktausschusses (FOMC) am Mittwoch könnte Aufschluss darüber geben, ob angesichts des soliden Stellenwachstums ein Sinneswandel bei der Fed eingesetzt hat.
Als im März und April 2020 über 22 Millionen Arbeitsplätze gestrichen wurden und die Erwerbslosenquote auf 14,8% stieg, galt als unwahrscheinlich, dass diese bis heute auf 6,2% zurückgehen würde. Als die Wirtschaft aber teilweise geöffnet wurde, kam es sieben Monate in Folge zu insgesamt 12,6 Millionen Neueinstellungen. Zwar dämpfte das Stellenminus im Dezember wieder die Stimmung. Für Erleichterung sorgten gleich nach der Jahreswende aber zwei solide Monate, und mit der Schaffung von 379000 Arbeitsplätzen im Februar sahen sich die Optimisten wieder bestätigt, weil dies die Markterwartungen deutlich übertraf.
Die meisten Volkswirte rechnen mit einer Fortsetzung des Aufwärtstrends. Mark Zandi, Chefvolkswirt bei Moody‘s Analytics, weist darauf hin, dass mit den Impfungen gegen das Coronavirus ein Ende der Pandemie in Sicht ist und das neue Konjunkturpaket der Wirtschaft Auftrieb geben wird. Folglich sei ein robuster Aufschwung zu erwarten „mit zahlreichen neuen Jobs, einer fallenden Erwerbslosenquote und starkem Lohnwachstum“, sagt Zandi. Positiv schätzt auch Commerzbank-Ökonom Bernd Weidensteiner die weitere Entwicklung ein. Er sieht in den USA Vollbeschäftigung als „näherungsweise erreicht“. Bis Ende 2022 rechnet Weidensteiner mit monatlich 430000 Neueinstellungen und mahnt an die Adresse von Geld- und Fiskalpolitik: „Überhitzungsgefahren werden kleingeschrieben“.
Rätsel Arbeitslosenquote
Anders stellt sich aber die Lage aus der Sicht der Notenbank dar. So hat Powell wiederholt daran erinnert, dass die Fed noch weit von ihrem Ziel der Vollbeschäftigung entfernt ist. Auch meint er, „dass die Arbeitslosenquote während der Pandemie den Verfall am Arbeitsmarkt beschönigt hat“, und weist darauf hin, dass die Partizipationsrate so deutlich gefallen ist wie zuletzt 1948. „Wegen ihrer Zweifel an Beschäftigungsaussichten in Branchen, die von der Pandemie stark betroffen waren, vor allem bei Dienstleistern, haben viele Menschen die Jobsuche permanent aufgegeben“, sagte der Fed-Vorsitzende, der die „wahre Arbeitslosenquote“ auf etwa 10% schätzt. Eine ähnliche Bewertung gibt das politisch liberale Forschungsinstitut Center on Budget and Policy Priorities (CBPP) ab, indem es die Erwerbslosenquote mit 8,3 bis 10% beziffert. Sorgen bereitet Powell auch die Tatsache, dass Bezieher niedriger Einkommen am stärksten leiden und sich dadurch das Einkommensgefälle weiter vergrößert. Folglich argumentieren Ökonomen, dass die Regierung bei der Errechnung der Arbeitslosenquote neben zivilen Erwerbspersonen auch jene berücksichtigen sollte, die in Teilzeit arbeiten und keine Vollzeitbeschäftigung finden, sowie Personen, die die Jobsuche aufgegeben haben. Diese Zahl, auch als U6 bekannt, liegt heute bei 11,1%.
Zwar ist zu erwarten, dass das FOMC diese Woche das Stellenwachstum zur Kenntnis nehmen wird. Gleichwohl will die Notenbank Änderungen ihres geldpolitischen Kurses mit deutlichem Vorlauf signalisieren und wird hiermit voraussichtlich warten, bis sich die kräftige Zunahme der Neueinstellungen über mehrere Monate fortsetzt. Die Fed dürfte daher für längere Zeit an Nullzins und Anleihekäufen festhalten.