Fragiles Konstrukt
Das Europaparlament hat damit begonnen, den Ende Dezember gefundenen Post-Brexit-Deal in verschiedenen Ausschüssen auf Herz und Nieren zu prüfen. Nach aktuellem Stand werden die Abgeordneten den fast 1 300 Seiten starken Vertrag, der schon vorläufig angewendet wird, bis Ende Februar ratifizieren. Änderungen im Detail werden sie nicht mehr durchsetzen können. Es geht nur mehr um ein Ja oder ein Nein. Seinen Einfluss wird das EU-Parlament lediglich noch in den Umsetzungsprozessen geltend machen können.Doch auch wenn die Abgeordneten wie erwartet das Last-Minute-Abkommen billigen werden: Für die europäischen Unternehmen und Banken schafft dies trotzdem nicht die langfristige Planungs- und Rechtssicherheit, die in den künftigen Beziehungen zu Großbritannien so essenziell wäre. Denn die Verabredungen zwischen Brüssel und London bilden ein fragiles Konstrukt mit noch vielen Unwägbarkeiten.Dass der Deal fünf Jahre nach Inkrafttreten noch einmal komplett überarbeitet werden kann, ist dabei aktuell vielleicht noch unerheblich. Aber auf die eingebauten Kündigungsklauseln, auch von Teilen des Vertrages, die jederzeit von beiden Seiten genutzt werden können und die dann mit einer Zwölfmonatsfrist wirksam werden, sollte man auch heute schon hinweisen. Und über den Finanzdienstleistern hängt als weiteres Damoklesschwert auch noch das Äquivalenzregime, über das im Detail ja noch verhandelt wird. Die Gleichwertigkeitsentscheidungen sind immer einseitig und können schnell zurückgenommen werden.Hinzu kommt: Der Deal wurde mit solch heißer Nadel gestrickt, dass ohnehin erst einmal ständige Nachbesserungen zu erwarten sind. Die entsprechenden bilateralen Institutionen hierfür sind ja schon beschlossene Sache: ein Partnerschaftsrat mit elf Ausschüssen und zahlreichen Komitees und Arbeitsgruppen, die daran arbeiten werden. Bei den Regelungen, die jetzt auf dem Tisch liegen, wird es wohl kaum dauerhaft bleiben.Vor allem in Großbritannien, wo jetzt schon Forderungen nach Nachverhandlungen laut werden, dürfte dies mit Erleichterung zur Kenntnis genommen werden. Denn schon in den ersten Tagen nach dem endgültigen Ausscheiden des Landes aus dem Binnenmarkt und der Zollunion hat sich gezeigt, dass beim grenzüberschreitenden Handel doch nicht alles so einfach bleibt wie vor dem Brexit. Das EU-Parlament wird daran bei der jetzt anstehenden Ratifizierung allerdings auch nichts mehr ändern können.