IM BLICKFELD

Frankreich will mit der Energiewende zum Vorbild werden

Von Gesche Wüpper, Paris Börsen-Zeitung, 28.7.2015 Es sei eines der wichtigsten Vorhaben seiner fünfjährigen Amtszeit, sagt Frankreichs Präsident François Hollande. Es sei das ehrgeizigste seiner Art in Europa, lobt Energie- und Umweltministerin...

Frankreich will mit der Energiewende zum Vorbild werden

Von Gesche Wüpper, ParisEs sei eines der wichtigsten Vorhaben seiner fünfjährigen Amtszeit, sagt Frankreichs Präsident François Hollande. Es sei das ehrgeizigste seiner Art in Europa, lobt Energie- und Umweltministerin Ségolène Royal. Kurz vor der traditionellen Sommerpause hat die Nationalversammlung das Gesetz zur Umsetzung der Energiewende verabschiedet. Als Gastgeber der Klimakonferenz, die Ende des Jahres in Paris stattfinden soll, will sich Frankreich vorbildlich geben.Bisher gehört die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone zu den zwanzig größten Treibhausgas-Emittenten weltweit. Gleichzeitig hofft die sozialistische Regierungspartei, sich mit Hilfe der Energiewende die Unterstützung der Grünen für die nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017 zu sichern. Doch allein die Genese des Gesetzes zeigt, dass die Umsetzung schwierig werden dürfte. Die konservative, vor kurzem von UMP in “Die Republikaner” umbenannte Oppositionspartei will sogar gegen das Gesetz vor dem Verfassungsrat vorgehen.Ursprünglich hätte die Direktive bereits 2013 kommen sollen. Doch vorgestellt wurde sie erst letztes Jahr im Ministerrat. Danach wurde der Entwurf fast ein Jahr lang in den beiden Parlamentskammern debattiert. Der nun beschlossene Text enthält rund 1 000 Änderungen im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf. Erst wenn er – wohl im September – veröffentlicht wird, tritt das Gesetz tatsächlich in Kraft. Für die konkrete Umsetzung sind jedoch noch entsprechende Dekrete notwendig. Gesetz mit 66 ArtikelnDas Energiewende-Gesetz umfasst nicht weniger als 66 Artikel und mehr oder weniger ehrgeizige Ziele. So will Frankreich seine Treibhausgas-Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 40 % senken, bis 2050 sogar um 75 %. Erneuerbare Energien sollen 2030 insgesamt 32 % der französischen Stromproduktion ausmachen. Der Anteil fossiler Energieträger wie Erdöl soll bis dahin um 30 % gesenkt werden. Insgesamt will das Land seinen Energieverbrauch bis 2050 um 50 % zurückfahren. Allerdings entspricht ein Teil der französischen Ziele denen des Klima- und Energiepakets, auf den sich der europäische Rat im Oktober letzten Jahres geeinigt hat. Darin ist festgelegt, dass der Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 auf mindestens 27 % steigen soll und die Treibhausgas-Emissionen bis dahin EU-intern im Vergleich zu 1990 um 40 % sinken sollen.Eines der zentralen und umstrittensten Elemente des Energiewende-Gesetzes ist die geplante Senkung des Atomkraftanteils in der Stromproduktion. Derzeit decken die 58 vom Energieversorger Electricité de France (EDF) betriebenen Reaktoren 75 % des französischen Strombedarfs. Dieser Anteil soll wie von Präsident Hollande während seines Wahlkampfs versprochen im Jahr 2025 auf 50 % sinken. Die Produktion der 58 französischen Atomreaktoren soll dafür jedoch nicht zurückgefahren werden. Sie wird lediglich auf 63,2 Gigawatt gedeckelt, was der heutigen Produktion entspricht. Konkret bedeutet das, dass ein Atomkraftwerk (AKW) vom Netz gehen muss, wenn der Europäische Druckwasserreaktor EPR, der in Flamanville in der Normandie gebaut wird, in Betrieb genommen wird.Welches AKW dann abgeschaltet werden soll, ist nicht geregelt, auch wenn Präsident Hollande wiederholt versprochen hat, dass die älteste, nahe der deutschen Grenze gelegene Anlage in Fessenheim im Elsass geschlossen werden soll. Die Mitglieder des Senats wollten die Produktionskapazität des französischen Nuklearparks sogar steigern und damit sicherstellen, dass keiner der Reaktoren abgeschaltet wird. Die konservative Oppositionspartei will nun den Verfassungsrat einschalten. Sie fordert, dass der Kraftwerksbetreiber EDF und der Atomkonzern Areva vom Staat entschädigt werden müssen, wenn eines der AKW stillgelegt wird.Das letzte Wort in Sachen Nuklearenergie dürfte noch nicht gesprochen sein. Die sozialistische Regierung verfolgt mit der geplanten Annäherung von EDF und Areva das Ziel, den französischen Kraftwerkspark zu erneuern und ehrgeizig beim Export der Atomindustrie aufzutreten. Die Atomlobby sei bereits aktiv geworden, um das mehrjährige Energie-Programm zu beeinflussen, berichten Medien. Darin sollen die Ziele des nun beschlossenen Gesetzes für die einzelnen Energiearten festgeschrieben werden. Von ihnen wird abhängen, ob Frankreich die Ziele des Energiewende-Gesetzes punkto Atomstrom und erneuerbare Energien tatsächlich erreichen wird.Um rechtzeitig in Kraft treten zu können, müsste das erste mehrjährige Energie-Programm für den Zeitraum 2016 bis 2018 eigentlich vor Ende des Jahres fertiggestellt sein. Doch bisher ist lediglich vorgesehen, dass die Beratungen über das Energie-Programm vor dem 31. Dezember beginnen sollen. Die konkrete Umsetzung einiger Ziele des Gesetzes dürfte sich damit also verzögern. Steuern und ElektroautosOb und wie der Rest der Energiewende umgesetzt wird, hängt von den entsprechenden Dekreten ab. Energieministerin Royal hat versprochen, dass die ersten bereits nach dem Ende der Sommerpause veröffentlicht werden sollen, jenes zur Umsetzung der Niedrig-Kohlenstoff-Strategie dann im November. In ihnen sollen etwa die Schadstoffobergrenzen für verschiedene Branchen festgelegt werden. Das Parlament hat bereits beschlossen, dass die CO2-Steuer bis 2020 von 14,50 Euro je Tonne auf 56 Euro steigen soll, 2030 dann auf 100 Euro. Da die meisten Treibhausgas-Emissionen in Frankreich von Gebäuden und dem Transport ausgehen, sollen Immobilienbesitzer künftig verpflichtet werden, Wohnungen und Häuser energetisch zu sanieren, wenn sie große Renovierungsarbeiten am Dach und an der Fassade vornehmen. Trotz zahlreicher Steueranreize haben etwa viele Wohnungen in Paris noch alte Einfachglas-Fenster aus der Vorkriegszeit. Ob die nun im Rahmen des Gesetzes vorgesehene Steuergutschrift von 30 % der Sanierungskosten daran etwas ändern wird, muss sich zeigen.Das gilt auch für die geplante Förderung für den Kauf eines Elektrofahrzeugs, wenn der Besitzer dafür ein Dieselfahrzeug verschrotten lässt. Bereits jetzt gewährt die sozialistische Regierung Boni für den Kauf schadstoffarmer Autos. Im ersten Halbjahr 2015 wurden in Frankreich 8032 Elektrofahrzeuge verkauft. Das waren gerade mal 0,79 % aller Neuwagenverkäufe. Das Gesetz sieht nun vor, dass die Fuhrparks von staatlichen Einrichtungen zu mindestens 50 % aus Elektrofahrzeugen bestehen müssen. Gemeinden sollen die Möglichkeit erhalten, besonders umweltverschmutzende Autos aus bestimmten Zonen zu verbannen. Ausgerechnet Umweltministerin Royal weigerte sich mehrmals, das von der Stadt Paris an Tagen mit hoher Schadstoffbelastung geforderte Teil-Fahrverbot für die französische Hauptstadt zu verhängen.